Rassistischer Angriff auf ein Mädchen in Halle-Silberhöhe

Stellungnahme des Antirassistischen Netzwerks Sachsen-Anhalt und von no lager halle



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Am Mittwoch, 29. Oktober wurde ein 10-jähriges Mädchen auf einem Spielplatz in Halle-Silberhöhe von sieben bis acht Kindern rassistisch beleidigt, geschlagen und getreten. Das Mädchen musste anschließend im Krankenhaus behandelt werden.
Die Medien, die darüber berichteten (MZ, MDR, Halle-Spektrum*), schreiben von einem „Streit“ der „eskalierte“, von einer „Rangelei“. Der von Kindern ausgeübte rassistische Angriff wird dadurch normalisiert, er scheint als ein unter Kindern eben vorkommender Streit, es wird suggeriert, dass beide Seiten in den Streit verwickelt waren.
Wie kommt es, dass mehrere Kinder aus rassistischen Motiven ein Kind beleidigen und verprügeln? Ist ein „ausländisches Aussehen“ (MZ) Grund genug? Was bringt Kinder dazu, einem anderen Kind rassistische Gewalt anzutun? Ist Gewalt etwa ein typisch kindliches Verhalten? Kinder streiten sich, sie rangeln, aber dass eine Gruppe von Kindern sich zusammenschließen, um ein einzelnes Kind gefährlich zu verletzen darf nicht als normale Streiterei abgetan werden. Zumal, wenn die Tat erschreckende Paraellen zu den menschenverachtenden Anfeindungen der Erwachsenen aufweist. Deshalb gilt es darüber nachzudenken: In was für einer Gesellschaft leben wir, in der so etwas passiert?
Dieser rassistische Angriff hat eine Vorgeschichte. Seit Monaten ist bekannt, dass BewohnerInnen der Silberhöhe gegen (tatsächliche oder imaginierte) Sinti und Roma hetzen und ihre Gewaltdrohungen in die Tat umsetzen. So wurde im September eine Frau rassistisch beschimpft, bespuckt und ihr zweijähriges Kind geschlagen. Der Vorfall zeigt wieder einmal, dass das Problem viel größer ist, nämlich dass es Rassismus und Intoleranz sind, die immer wieder Angriffe gegen Menschen produzieren.

Ein kritischer Blick muss in diesem Zusammenhang auch auf die VertreterInnen der Medien gerichtet werden, die durch ihre verschleiernde Sprache Rassismus unterstützen, anstatt ihn aufzudecken. In der MZ wurde der „Migrationshintergrund“ und das „ausländische Aussehen“ des angegriffenen Mädchens erwähnt. Im MDR ist Sprache von „dunkelhäutig“ und „afrikanischen Wurzeln“. Eine sprachliche Markierung des Fremden findet also ganz klar statt, aber eine Benennung, dass es sich um einen rassistische Tat handelt, nicht. Dadurch machen sich Medien mitverantwortlich, dass das Problem Rassismus nicht in seinem schrecklichen, verletzenden Ausmaß benannt und erkannt wird.
Auch ein anderes mediales Erzählmuster taucht im Zusammenhang mit der Silberhöhe immer wieder auf: „Nach Einschätzung von MDR-Reporten hetzt nur eine absolute Minderheit in dem Stadtteil gegen Sinti und Roma. Die große Mehrheit lebe mit den Ausländern problemlos zusammen.“ Hier wird Rassismus als Phänomen einer extremen, kleinen und randständigen Gruppe beschrieben. Der Rest sind die guten Deutschen. Dass rassistische Gewalttaten besonders dort verübt, wo die meisten Mitmenschen einfach wegschauen, spielt keine Rolle.
Ob in den xenophoben, verbalen Entgleisungen auf den einschlägigen Facebook- und Internetseiten oder mit der unsensiblen Verwendung von Stereotypen in den Medien, in beiden Fällen findet eine Markierung des sogenannten Fremden in Abgrenzung zum „normalen Deutschen“ statt. Grundlegend aber zeigt sich einmal mehr, dass Rassismus auch eine soziale Frage ist. Wer steht in der gesellschaftlichen Hierarchie noch weiter unten, wenn man selber schon zur „Unterklasse“ der Langzeitarbeitslosen und sogenannten sozial Randständigen gehört? Natürlich Menschen ohne deutschen Pass, Menschen mit noch weniger Teilhabe, Perspektiven und Rechten. Ein Muster von rassistischer Aus- und Abgrenzung, das nicht allein in der Silberhöhe anzutreffen ist, und nicht nur Ausdruck eines rassistischen Denkens der/des Einzelnen ist, sondern eben auch eines verschärften gesellschaftlichen Missverhältnisses und sozialen Ungleichgewichts.
Auf die demographische Entwicklung der Silberhöhe und deren langfristigen Folgen und der Umgang mit diesen soll hier nicht weiter im Detail eingegangen werden. Dass die Stadt Halle aber auch kurz- und mittelfristig Strategien entwickeln muss, um vor Ort in Zukunft Menschen vor rassistischen Bedrohungen und Übergriffen schützen zu können, daran besteht kein Zweifel. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre eine umfassende und vielschichtige Kinder- und Jugendarbeit, wie der Fall des angegriffenen Mädchens zeigt. Perspektivisch aber wird sich an der Situation im Stadtteil Silberhöhe langfristig und grundlegend nur etwas ändern, wenn es zu einem Wandel des gesellschaftlichen Gesamtklimas kommt.
Für eine Gesellschaft ohne Rassismus! Solidarität mit allen von Rassismus betroffenen Menschen, ob in der Silberhöhe oder anderswo!
Presse zum Angriff auf das Kind in Silberhöhe:
Hallespektrum
MZ
MDR
Polizeimeldung
MDR/ Zum Angriff auf Frau und Kind in Silberhöhe