Redebeitrag des antiranet auf dem Landesparteitag der Linkspartei

Wir dokumentieren an dieser Stelle einen Redebeitrag, der vom Antirassistischen Netzwerk auf dem Landesparteitag der Linkspartei in Sachsen-Anhalt im Juni 2015 gehalten wurde.
Redebeitrag_Landesparteitag_2015_06_20.pdf
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir möchten uns zuerst für die Einladung hier und heute einen Redebeitrag zu halten, bedanken, namentlich allen voran bei Henriette Quade.
Wir, das ist das antirassistische Netzwerk Sachsen-Anhalt, zu dem eine Reihe von Gruppen und Einzelpersonen gehören, sprechen aus der Perspektive von antirassistischen Aktivist_innen und Unterstützer_innen von Geflüchteten. Einige von uns sind mittlerweile seit vielen Jahren in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus engagiert und aktiv. In diesen Jahren sind wir sehr unterschiedlichen Menschen begegnet, konnten vielfältige Einblicke und Erfahrungen sammeln und sind auf unterschiedlichste Probleme und Konflikte gestoßen, von denen wir heute berichten wollen.
Wenn wir von der Unterstützung von Geflüchteten sprechen, meint das für uns vor allem ein solidarisches Miteinander. Das heißt sowohl die Begleitung von Einzelfällen als auch die gemeinsame politische Arbeit mit Flüchtlingsselbstorganisationen. Unser Engagement ist ausschließlich ehrenamtlich, unbezahlt, nicht parteipolitisch verortet, sondern selbstorganisiert und findet vor einem emanzipatorischen, linken Hintergrund statt. Das meint für uns, dass wir sowohl die unterschiedlichsten rassistischen Ausgrenzungsphänomene, mit denen Migrant_innen und Geflüchtete tagtäglich konfrontiert sind, als auch die herrschenden Verhältnisse von Ausbeutung und globaler Ungerechtigkeit, in den Blick nehmen.
Wir wollen heute aber weniger über die großen Zusammenhänge sprechen oder uns in theoretischen Diskursen verlieren, sondern Ihnen viel mehr von unserer politischen Praxis, den Mühen der Ebene und den Problemen, die uns in dieser begegnen, berichten.
An erster Stelle möchten wir dafür plädieren, dass die betroffenen Menschen endlich von den Verantwortlichen mit in die migrationspolitischen Debatten einbezogen werden, dass also aus dem Sprechen ÜBER endlich ein Sprechen MIT wird. Aus unserer Sicht wäre dies der erste und ein wichtiger und wesentlicher Schritt um aufeinander zuzugehen und anzuerkennen, dass wir in einer Zuwanderungsgesellschaft leben. Insofern begrüßen wir die Einladung der beiden Vertreter der Saalekreis Refugee Asociation (SARA) zum Landesparteitag ausdrücklich.

Ausgrenzung und Rassismus haben viele Gesichter. Eines davon ist, Menschen aufgrund ihrer Migrationsgeschichte zu ignorieren, zu entmündigen und sie nicht ernst zu nehmen. Genau das passiert, wenn Migrant_innen und Geflüchtete als „Randproblem“ stigmatisiert werden anstatt mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und deren Perspektive gelten zu lassen. Und eine Entmündigung findet auch da statt, wo die geltenden Rechte und Regelungen den Menschen die Fähigkeit ihr eigenes Leben zu organisieren, absprechen, so z. B. Im Zusammenhang mit der Unterbringung in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften.
Es sind immer wieder die persönlichen Kontakte und Freundschaften, die sichtbar machen, welchen Mutes und welcher Kraft es bedarf, sich für den Weg in die Migration zu entscheiden, sich auf die Flucht und in die Mühlen des europäischen und deutschen Grenz- und Migrationsregimes zu begeben.
Mit Hilfe von Smartphone und Kamera rückt für uns das Geschehen in aktuellen Kriegsgebieten und an den Grenzen Europas immer wieder sehr nah heran. So zeigte uns vor Kurzem eine Freundin Fotos von ihrer Überfahrt über das Mittelmeer mit einem sogenannten „Geisterschiff“, das keines war.
Ein anderer Freund zeigte uns selbst gefilmte Videos von dem Vorgehen italienischer Beamter bei der Abnahme von Fingerabdrücken und dem Versuch des Widerstandes dagegen. Und immer wieder schauen wir uns die Bilder von den Familien an, die im syrischen Bürgerkrieg festsitzen und darauf hoffen, von ihren Familienmitgliedern nach Deutschland nachgeholt zu werden.
Vor dem Hintergrund dieser Bilder und Geschichten sind die Dublin-Regelung und die damit verbundenen Abschiebungen, insbesondere nach Ungarn, in die Ukraine, nach Polen, Bulgarien und Italien, für die Betroffenen eine Katastrophe, denn diese Menschen flüchten vor unhaltbaren Lebensbedingungen. Sie haben sich auf den Weg gemacht um Schutz zu finden und nicht um in einem Gefängnis zu landen oder ein Leben auf der Straße zu fristen, wie es für viele Geflüchtete in Italien oder auch Ungarn der Fall ist. Viele Menschen entscheiden sich deshalb zur Weiterreise. Viele dieser Menschen, die wir in unserer täglichen Arbeit begleiten, erzählen uns von ihrer Angst zurück in die Grenzregionen geschoben zu werden. Sie erzählen Geschichten von Folter in Gefängnissen, erniedrigender Behandlung durch Grenzpolizist_innen und Wärter_innen, von dem täglichen Kampf ums Überleben, dem Kampf um Wasser, Nahrung oder einen trockenen Schlafplatz. Doch die brutale Abschiebepraxis Deutschlands in „sichere Drittstaaten“ blendet, indem sich auf Verordnungen und technokratische Abläufe berufen wird, diese Fakten aus.
Ergebnis der Dublin-Verordnung im Zusammenspiel mit der Abschottung der europäischen Außengrenzen und der Verunmöglichung von Fluchtwegen ist, dass dem größten Teil der Ankommenden nicht das Asyl als solches verwehrt wird, sondern überhaupt der Zugang, also die Möglichkeit eines zu beantragen. Durch die Dublin-III-Regelung wird die vermehrte Illegalisierung von Geflüchteten systematisch vorangetrieben. Daher wächst die Zahl der Illegalisierten in Deutschland, die sich Dublin-Abschiebungen entziehen wollen, rasant. Und das bedeutet für die Betroffenen auch eine kontinuierliche Fortsetzung des absoluten Ausnahmezustandes und der völligen Unsicherheit. Für Menschen mit Kriegs- und Fluchtgeschichten, die aus unserer Erfahrung bei gut der Hälfte der ankommenden Geflüchteten zu Traumata führen, eine extreme Belastungssituation.
Wir fordern Sie daher auf, für einen Zugang zu Asyl und Schutz und für ein Leben in Würde einzustehen und einen sofortigen Abschiebestopp in Länder wie Ungarn oder Italien zu forcieren! Das Dublin-System ist gescheitert. Es bedarf einer sofortigen politischen Lösung um Menschen, die Schutz suchen, diesen zu ermöglichen und die hochgepriesenen Menschenrechte für alle Realität werden zu lassen.
Für Geflüchtete, die in Deutschland angekommen und als sogenannte Asylbewerber_innen registriert sind, sehen die geltenden Gesetze eine Reihe von Regelungen vor, die massiv in die persönlichen Freiheiten eingreifen. Für die Betroffenen dreht sich vieles um den institutionellen Rassismus und die damit verbundenen Hürden ein eigenes und eigenständiges Leben aufzubauen, selbst wenn ihnen Rechte zustehen.
Die Geflüchteten wissen meist nicht um ihre Rechte oder welche Behörde für was zuständig ist. Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, bedarf es gut ausgebildeter und kompetenter Beratungsstellen, von denen es in Sachsen-Anhalt viel zu wenig gibt. Oft wird die Beratung und konkrete Hilfe auf ehrenamtlich Engagierte wie uns abgeschoben. Ganz klar wird dadurch die Notwendigkeit unserer Strukturen, aber noch viel mehr auch die Leerstelle, die es seitens der Kommunen und Landkreise zu füllen gilt.
Die Möglichkeit ein eigenständiges Leben aufzubauen, wird insbesondere dann schwierig, wenn z. B. Eine Arbeitserlaubnis unter scheinheiligen Vorbehalten verweigert wird. Auch haben die meisten Geflüchteten keinen Zugang zu ausreichenden Bildungsangeboten, vor allem was die Sprachförderung anbelangt. Die angebotenen Sprachkurse sind hoffnungslos überfüllt und es gibt lange Wartezeiten. Darüber hinaus gibt es zu wenig Übersetzungshilfen und Sprachmittler_innen, welche aber notwendig wären, da vielerorts die Angestellten der Behörden entweder keine weitere Sprache außer Deutsch sprechen oder sich schlichtweg weigern, in einer anderen Sprache als Deutsch zu kommunizieren.
Vielerorts sind die Angestellten der Behörden und Unterbringungen von Rassismen durchdrungen und behandeln Geflüchtete nach ihren rassistischen Ressentiments. So werden Sozialleistungen rechtswidrig gekürzt. Den Menschen werden Vergünstigungen wie beispielsweise der Sozial-Pass verweigert. Und dies zeigt sich auch, wenn von Lagerbetreibenden willkürlich Hausverbote ausgesprochen oder Geflüchtete, welche politisch aktiv sind, um für ihre und die Rechte anderer einzustehen, systematisch kriminalisiert werden.
Ein Kernproblem bleibt außerdem das Geschäft mit Geflüchteten. So halten viele Landkreise weiterhin an der menschenunwürdigen Unterbringung in sogenannten „Gemeinschaftsunterkünften“ fest, wobei vielerorts die privaten Betreiber dieser Unterkünfte gutes Geld an einer solchen Zwangsunterbringung verdienen.
Und in Landkreisen, in denen die „dezentrale Unterbringung“ eingeführt wurde, dient dies meist nur der Imagepflege der Landkreise. So werden Geflüchtete weiterhin in Minighettos untergebracht, Zwangsumzüge und überfüllte Wohnungen sind die Regel. Eine selbständige Suche und Wahl der Wohnung wird den Geflüchteten auch dort nach wie vor verweigert.
Besonders drastisch sind die Auswirkungen der mangelnden medizinischen und therapeutischen Versorgung auf das Leben von Geflüchteten zu beobachten.
Für alle Menschen, die im Asylverfahren stecken, gibt es nur eingeschränkte Rechte auf medizinische Versorgung. Im Sozialamt bestimmt medizinisch ungeschultes Personal darüber, wer wirklich krank ist und wer nicht. Menschen in der Illegalität haben überhaupt keine Ansprüche. Wenn sie sich beim Amt mit der Bitte um Kostenübernahme melden, droht die Abschiebung.
Durch diese Praxis wird die Behandlung aufgeschoben und verzögert, Betroffene kommen so in einen Kreislauf der Dauerkrankheit, ohne wirkliche Therapie. Denn chronische Erkrankungen werden überhaupt nicht übernommen. Im Bereich der psycho- und traumatherapeutischen Behandlung fehlen massiv Plätze und Personal, auch die belastenden Lebensumstände der Geflüchteten wirken sich negativ auf die Therapie aus, wenn es denn überhaupt zu einer kommt.
Die deutschen Gesetze sind dazu geschaffen Menschen abzuschrecken und auszugrenzen, nicht um sie willkommen zu heißen oder ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Aber die Menschen werden trotzdem kommen! Diese Realität muss die deutsche Mehrheitsgesellschaft anerkennen.
Im Rahmen der Möglichkeiten fordern wir sie auf, die von uns genannten Missstände ernst zu nehmen und für ernsthafte politische Lösungen zur konkreten Hilfe einzustehen.
Geflüchtete brauchen keine Lippenbekenntnisse und theoretische Zugeständnisse, sie brauchen langfristige Verbesserungen ihrer Lebensumstände und eine faire Gleichbehandlung.
Vor diesem Hintergrund sehen wir die bevorstehenden Asylrechtsverschärfungen und die daraus resultierenden Folgen für die Betroffenen als einen Schritt in die völlig falsche Richtung. Leider fehlt uns für ausführlichere Gedanken zu diesem Thema die Zeit. So bleibt uns dazu nur zu sagen: Die Asylrechtsverschärfung muss verhindert werden, ohne Kompromisse!