[Balkanroute] Berichte aus Dimitrovgrad

Hier drei Berichte aus Dimitrovgrad (Serbien) von UnterstützerInnen aus Halle:
Dimitrovgrad, 10.12.2015
Zuallererst hat sich bereits letzte Woche die Situation der Essensausgabe an Geflüchtete drastisch verschlechtert. Wir hatten Besuch von dem örtlichen Gesundheitsamt und dieses hat die weitere Ausgabe von frisch zubereitetem Essen komplett untersagt. So wurde nicht nur die Ausgabe von warmem Essen sondern auch von Sandwiches verboten. Lediglich die Ausgabe von abgepacktem Essen mit einem Ablaufdatum wurde uns erlaubt. Ausserdem wurde bei einem Treffen mit der örtlichen Stadtverwaltung am nächsten Tag entschieden dass wir auch unser komplettes Zelt / Pavillon räumen müssen und keinen festen Unterstand mehr dort betreiben dürfen. Da wir bereits davor keine Erlaubnis dafür hatten sondern lediglich mit unserem Pavillon gedulted wurden, hat uns das nicht weiter überrascht. Zusätzlich dazu wurde auch das weitere Anzünden von Feuern für Refugees sowie das spielen von lauter Musik nachts verboten, da sich Anwohner über beides beschwert hatten.

Über die tatsächlichen Gründe für das Verbot können wir nur spekulieren. Fest steht das die hygienische Situation tatsächlich nicht wirklich akzeptabel war, was aber allein an den Restriktionen lag an die wir gebunden war, und dass im Regen in einem Pavillon die Essens- Zubereitung sowie Ausgabe nicht wirklich gut durchzuführen ist. Die eigentlichen Gründe sind wohl aber andere. So war ein Besuch von einigen ominösen „Inspektoren der EU“ bereits im Vorhinein angekündigt worden und wir hatten den Verdacht dass die örtlichen Institutionen etwas aufräumen wollten um ein präsentables Camp vorzeigen zu können.
Diese erneuten Restriktionen hätten allerdings katastrophale Folgen für die Refugees gehabt, die bis dato mehrere Tage auf ihre Registrierung warten mussten und deren Versorgung jetzt um einiges erschwert wurde. Tatsächlich wurde die ganze Situation aber entschärft, da parallel zu den neuen Verboten die Polizei angeblich zwei neue Computersysteme für die Registrierung erhalten haben soll. Tatsächlich wurden mehr oder weniger alle Refugees die bis dahin im Camp seit mehreren Tage gewartet hatten (ca. 300 – 400) innerhalb eines Tages registriert und mit Bussen
nach Belgrad geschickt. Alle weiteren ankommenden Refugees wurden ebenfalls innerhalb eines Tages wenn nicht sogar innerhalb weniger Stunden registriert und erhielten daraufhin die Möglichkeit in die Busse einzusteigen und sich dort im warmen aufzuhalten. Zusätzlich dazu nahm die Zahl der ankommenden Refugees auf einmal rapide ab, so dass teilweise nur noch 40-50 Refugees pro Nacht ankamen. Ob und wie das Überqueren der Grenze mithilfe der Schmuggler durch die Polizei gesteuert werden kann, um die Zahl der ankommenden Refugees für einige Tage künstlich tief zu halten, entzieht sich unserer Kentniss aber der Verdacht schwebt auf jeden Fall in der Luft. Natürlich bestanden auf unserer Seite große Bedenken dass diese verbesserte Situation mit einer schnellen Registrierung nicht besonders lange anhalten würde nachdem die „Inspektoren“ wieder abgereist sein würden.
In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember kam es ausserdem zu einem weiteren Problem, da die serbische Border Police die das Camp betreibt sich auf einmal weigerte bereits registrierten Refugees nach ihrer Registrierung weiterhin Zugang zum Camp zu gewähren. Da diese Gruppe (21 Leute) allerdings kein Geld für den Bus hatte, weigerte sich die Bus Firma sie übernacht in den Bus zu lassen. Wir haben daraufhin interveniert und mit der Polizei angefangen zu verhandeln, wo sie solange Unterkunft finden sollen, wenn sie keinen Zugang zu den Wohncontainern im Camp mehr haben. Die Polizei lehnte das Angebot VOR dem Camp Zelte aufzubauen entschieden ab, und meinte die Refugees sollten sich in einem Hotel einquartieren. Wir nahmen diesen Vorschlag daraufhin wörtlich, da wir Kontakte zu einem lokalen Hostel haben, welches uns bereits in der Vergangenheit angeboten hatte unsere Volunteers für 5€ pP die Nacht unterzubringen. Nachdem wir
mehrere Polizeistationen abklappern mussten um eine definitive Bestätigung zu bekommen dass unser Hostel keine Probleme bekommen würde, haben wir die verbliebenen 20 Refugees mit einem Shuttle ins 5km entfernte Hostel gebracht. Dort hatten diese Menschen (als erste und bisher einzige hier) die Möglichkeit zum ersten Mal auf ihrer Flucht in einem Bett zu schlafen, zu duschen und am nächsten Morgen mit uns gemeinsam zu frühstücken.
Am 7. Dezember kamen tatsächlich „Inspektoren“ der Komission der Europäischen Union, genauer gesagt von einer ihrer Institutionen: European Comission‘s Humanitarian and Civil Protection department (ECHO). Diese hatten allerdings weitaus weniger Befugnisse als wir erwartet hatten. Sie waren lediglich da um hier arbeitende NGOs die auch innerhalb der EU operieren (UNHCR und Danish Refugee Council) und ihre Arbeit zu überprüfen und nach Mängeln im Camp zu suchen, die sie durch Förderung dieser NGOs beheben könnten. Sie waren also im Endeffekt nur
dort um zu schauen, wo sie ihr Geld hinschicken können. Wir hatten allerdings die Möglichkeit mit ihnen zu sprechen und ihnen die Situation zu erzählen die bis vor wenigen Tagen im Camp vorzufinden war. Eine Überprüfung der Polizei und ihrer Arbeit und eine Verbindung zu dem Vorgang der Registrierung war allerdings von ihnen nicht zu erwarten, sie meinten dass solch eine Überprüfung durch ein anderes Department der EU Komission erledigt würde.
Nachdem die beiden Inspektoren wieder abgereist waren, machten wir uns also auf ein Ansteigen der Zahl der ankommenden Menschen wieder gefasst. Tatsächlich kamen auch in der folgenden Nacht mehr als 150 zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens an. Wir waren allerdings trotz unserer nicht mehr vorhanden Basis vor dem Camp weiterhin in der Lage alle Menschen bereits vor der Registrierung mit einem Corny und nach erfolgter Registrierung mit einem „Food package“ auszustatten, das aus einem abgepackten halben Laib Brot, einer Tunfisch Konserve, einem kleinen Päckchen Marmelade, einer Scheibe Toastkäse, Schokomilch und einer Banane und einem Apfel bestand. Damit reihen wir uns leider in die Arbeit des Roten Kreuzes ein, das ziemlich genau ähnliche Essenspakete in den Tagen davor an die bereits registrierten Refugees verteilt hatte. Da das Rote Kreuz allerdings nachts nicht vor Ort ist, müssen wir diese Lücke weiterhin füllen.
In den letzten beiden Nächten ist die Zahl der ankommenden allerdings weiterhin relativ niedrig geblieben. Im Moment kommen ca. 50-60 Menschen in der Nacht an. Zwischen 8:00 und 15:00 gibt das Rote Kreuz weiterhin Essen aus, während wir in der Nacht bei der Ankunft vor Ort sind.
Wir wissen nicht wie sich die Zahl der ankommenden Menschen über die kommenden Wochen hier entwickeln wird und ob die Zahl über den Winter wegen schlechtem Wetter weiter abnehmen wird. Auch die Verschiebung der Hauptroute der Migration über andere Länder wie beispielsweise weiter im Westbalkan (Albanien, Bosnien) oder über die baltischen Staaten wird im
Moment hier diskutiert. Eine Prognose dazu ist allerdings von unserer Seite nicht möglich. Interessant wäre, die Entwicklung innerhalb Bulgariens und auch an der serbisch/mazedonischen Grenze dafür weiter zu beobachten. Im Moment haben wir jedoch lediglich Kontakt zu einigen Leuten in Sofia, und hören lediglich dass die Zahl der dort befindlichen Refugees in den Camps weiter abnimmt, da die Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien immer unpassierbarer wird. Das war allerdings nach dem Versprechen der 3Mrd € der EU an Erdogan, und auch nach dem Besuch Camerons in Bulgarien zu erwarten. Es bleibt abzuwarten, wohin sich die Route danach verschieben wird.
Dimitrovgrad, 02.12.2015
Die Situation im Registrierungscamp in Dimitrovgrad hat sich weiterhin verschlechtert, vor allem aufgrund des Wetters. Die Temperaturen liegen inzwischen um den Gefrierpunkt, wir hatten ersten Frost, Eis auf den Autoscheiben morgens und auch die ersten Schneeflocken. Das schlimmste aber war der Regen letzte Woche. Die Refugees muessen auf ihrer Wanderung ueber die bulgarisch-serbische Grenze tagsueber in Verstecken warten bis es dunkel; wird um dann weiterlaufen zu koennen und werden waehrend dieser Tage bereits klitschnass. Die meisten kommen mit voellig kaputten Turnschuhen bei uns an, die Fuesse in nassen Socken, die inzwischen so kalt und nass sind dass sie in der Kaelte nicht einma mehr dampfen. Wir haben deswegen in der letzten Zeit an Schuhen und Stiefeln ausgegeben was wir konnten. Fast jeder hier braucht ein paar neue Stiefel wenn er nicht im Laufe des Aufenthaltes bei der Registrierung ernstlich krank werden will. Da aber die meisten Sachspenden aus
Westeuropa nur geringfuegig Winterstiefel fuer Maenner beinhalten, muessen wir andauernd Schuhe kaufen. Gluecklicherweise hatten wir gerade zwei Teams aus Deutschland hier die jeweils mehrere tausend Euro dafuer hier lassen konnten.
Die Registrierungszeit hat sich ebenfalls weiter verlaengert. Inzwischen kommen auch immer wieder Gruppen mit Frauen und Kindern und teilweise alten Menschen hier an. Diese werden alle direkt bei der Registrierung vorgelassen sodass sie meistens noch im Laufe des selben Tages nach Belgrad weiter reisen koennen. Fuer alle anderen gilt das schon lange nicht mehr. Die Polizei nimmt Geld um die Leute in der Schlange nach vorne ruecken zu lassen, und die mitellosen bleiben dann immer weiter zurueck. Daher haben wir inzwischen zahllose Faella von Refugees die bereits seit 3, 4 oder sogar 5 Tagen in Dimitrovgrad sind und nicht wissen wann sie weiter kommen. Da wir Kontakt zu einigen Refugees auf ihrer Weiterreise nach Deutschland hatten, konnten wir nachverfolgen wie
ihre weitere Reise verlaufen ist. Das erschreckende: manche brauchen weniger Zeit um von Serbien aus bis an die deutsche Grenze zu gelangen und in Deutschland aufgenommen zu werden, als sie alleine in der Wartezeit hier in Dimitrovgrad verbracht haben.
Die Versorgung waehrend dieser Wartezeit hier ist und bleibt weiterhin katastrophal, auch wenn man sich gar nicht vorstellen mag, wie es aussehen wuerde wenn die selbstorganisierten Volunteers nicht hier waeren. Das Rote Kreuz gibt teilweise Essenspakete aus in denen ein Laib Brot, eine Konserve, eine Banane und ein Muesliriegel enthalten sind. Dies ist allerdings nur fuer Refugees die bereits registriert sind erhaeltlich. Die Medizinische Versorgung von WAHA (women and health alliance) ist zwar weiterhin vorhanden allerdings nur tagsueber bis 17:00. Auch hatten wir vermehrte Faelle die ins Krankenhaus gebracht werden mussten, darunter in gebrochenes Bein, eine Kolik aufgrund abgelaufener Konserven aus einem nahen Shop und einem Krampfanfall vorgestern. Nachdem ich dabei das „Krankenhaus“ und den dortigen „Arzt“ kennengelernt habe, bin ich mir nicht einmal mehr sicher ob ich Refugees dort hinschicken soll. Da das Krankenhaus an den Refugees nichts verdient und sie nur zusaetzliche Arbeit darstellen, ist die Atmosphzaere dementsprechen unwillig und harsch.
Die 4 Wohncontainer im Camp sind inzwischen wieder geoeffnet worden, allerdings auch immer mit der Prioritaet fuer Familien und Kinder. Ausserdem koennen die registrierten Refugees weiterhin in den Bussen vor dem Camp warten, bis ihr Bus abfaehrt. Teilweise sind dort sogar einzelne Menschen zum aufwaermen geduldet die noch nicht fuer das Busticket bezahlen koennen. Weiterhin muessen aber zahlreiche Menschen im freien schlafen, und das bei immer weiter sinkenden Temperaturen. Wir haben zum Glueck die Moeglichkeit gefunden in der Naehe von unserem Zelt, einige Feuertonnen zu errichten. Hier koennen sich Menschen tagsueber und auch nachts aufwaermen. Trotzdem, oder auch gerade wegen dieser vielen kleinen rauchenden Feuer mutet die ganze Situation immer
staerker apokalyptisch an: zahlreiche Menschen in Rettungsdecken auf dem Boden, links und rechts der Strasse Gruppen um die kleinen Feuer und die halbe Nachbarschaft in Rauch gehuellt weil meistens nicht viel mehr als nasse Pappe verbrannt werden kann. Es gab bereits Streit mit der Stadtverwaltung und der Nachbarschaft, weil einzelne Refugees angefangen
haben dort Holz zu klauen. Um die Situation zu entspannen sahen wir uns deswegen gezwungen immer ausreichen Brennholz bereit zu stellen um weiteren Streit zu vermeiden.
Trotzdem gab es bereits einige Auseinandersetzungen mit der oertlichen Mafia die nicht zu umgehen wahren. So ist es zu handgreiflichkeiten mit einem unserer Volunteers gekommen, waehrend einer Ausgabe von Kleiderspenden. Die Refugees standen in einer langen Schlange am Rand der Strasse an um aus unserem Sprinter Handschuhe zu bekommen. Einer der oertlichen Busfahrer sah genau diesen Platz allerdings als seinen persoenlich favorisierten Parkplatz an, obwohl die ganze weitere Strasse ebenfalls frei war. Nachdem er mehr oder weniger die Refugees mit dem Auto langsam weg geschoben hat, kam es zu handgreiflichkeiten gegenueber einem Volunteer von uns, und Bedrohungen mit den Worten „I will Fuck You, and put you in that Garbage Bin“ mit einem Verweis auf den nebenstehenden Muellcontainer. Wir haben es allerdings geschafft die Situationnicht weiter eskalieren zu lassen, und versprochen in Zukunft diesen Parkplatz nicht mehr zu blockieren.
Auch an einem anderen Abend als einige Menschen von „PRAXIS“ einer Human Rigthts Organisation aus Griechenland und Mazedonien zu besuch waren, um Interviews zu machen ist es kurz spaeter zu seltsamen Szenen gekommen. Noch waehrend diese Mitarbeiter vor Ort waren tauchten auf einmal mehrere schwarze SUVs in der Strasse auf aus denen mehrere kraeftige Maenner mit Glatze und Jogginganzug ausstiegen. Diese begannen mit den Refugees derbe Spaesse und Witze zu machen, so wurden diese vermehrt nach ihren Bombenguerteln gefragt, und ob sie diese auch brav dabei haetten wo sie doch alle Terroristen seien und ob sie denn in Afghanistan auch schonmal Menschen die Kehle aufgeschlitzt haetten. Auch wurden Spaesse ueber ihre Ziel-Laender gemacht und was sie denn so mit den deutschen Frauen vorhaetten wenn sie einmal in Deutschland angekommen seien. Spaeter wurden ebenfalls mehrere von unseren weiblichen Volunteers bloed angelabert. Aber auch hier ist es gluecklicherweise zu keinen weiteren Auseinandersetzungen gekommen. Verstoerte Refugees die daraufhin sich bei unserem Zelt gesammelt haben und sich erkundigten was das fuer seltsame Menschen sind, konnten wir allerdings nur begrenzt beruhigen und ihnen raten sich vor der Mafia noch mehr in Acht zu nehmen als wir das muessen.
Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich einige Tage spaeter ebenfalls nachdem ein deutsches Kamerateam vom ARD und WDR hier angekommen war, und ich einer Reporterin vom WDR einiges ueber unser Camp und unsere Arbeit vor Ort zu erzaehlen begonnen hatte, und sie Refugees hier filmte. Kurz darauf erhielt ich einen Anruf von unserem Volunteer Haus,
dass dort der schwarze „Hummer“ (ein SUV Gelaendewagen den wir bereits vorher in der Stadt beobachtet hatten und der mit Abstand das martialischste Gefaehrt der Stadt ist) vorgefahren ist. Der Fahrer (den wir vorher nie aufgrund getoenter Scheiben zu Gesicht bekommen haben) ist ausgestiegen und hat sich beschwert wegen der Lautstaerke die hier im Haus immer herrschen wuerde und der blockierten Einfahrt der Nachbarin. Wir wissen immer noch nicht genau, inwieweit diese Beschwerde inhaltlich sinnvoll ist, da der Fahrer nicht in der Nachbarschaft wohnt, oder ob es eine direkte Drohung wegen Filmen und Interviews am Camp ist. Auch als danach Tarek (unser Coordinator der serbisch spricht) und ich uns am selben Abend mit dem Hummer-Fahrer erneut in seiner Bar getroffen haben um die Situation zu entspannen ist das nicht weiter klar geworden. Seit dem wissen wir nicht mehr genau wie lange wir in dem Haus wohnen bleiben koennen. Gluecklicherweise ist unserer Vermieter auch gleichzeitig der Mensch von dem wir unseren Sprinter mieten, unsere Lebensmittel fuer die Refugees kaufen und somit in etwa unser Schutzpatron in der Stadt. Er hat sofort versprochen sich der Situatiuon anzunehmen, allerdings haben wir auch keinerlei Interesse zwischen zwei Fronten eines Mafia-Kriegs zu geraten. Insgesamt ist die Situation weiter angespannt. Wir sind hier nur teilweise erwuenscht, und nur solange wir keinen ernsthaften Aerger machen. Aufgrund der katastrophalen Situation der Refugees sind wir allerdings gezwungen weiterhin hier zu bleiben und ihre Versorgung zu gewaehrleisten, und muessen somit vor der oertlichen Mafia den Schwanz einziehen und auf jede Provokation mit Freundlichkeit und auch teilweise Unterwuerfigkeit antworten, wenn wir nicht ernsthafte Probleme bekommen wollen.
Trotzdem ist das gesamte Projekt mehr als zufrieden stellend, und wenn wir mal die Zeit haben das ganze von aussen zu betrachten, ist es erstaunlich wie viel hier geleistet wird. Insgesamt werden hier teilweise mehrere hundert Menschen mit Essen und warmen Getraenken versorgt, bekommen Kleider, Medikamente, Schuhe, Informationen und auch einfach nur ein bisschen mehr Selbstachtung. Viele die erzaehlen dass sie sich hier auf ihrer Reise das erste Mal als Menschen wieder wahrgenommen fuehlen und das ist das einfahchste und billigste was wir zur Verfuegung stellen koennen. Immer wieder haben wir ganze Gruppen von Refugees die ankommen und zu handymusik auf der Strasse tanzen, oder mit SupporterInnen am Feuer zusammen sitzen und von ihrer Reise erzaehlen.
Dimitrovgrad, 18.11.2015
Wir sind gestern (Dienstag) abend gegen Mitternacht mit unseren 4 Leuten hier in Dimitrovgrad im supporter-house angekommen. Aktuell leben hier ca. 15 Leute in einem gemieteten haus am Rande der stadt. Im Moment sind ausser unserem Team aus Halle/Leipzig noch ein weiteres Team aus Deutschland mit Menschen aus Köln, Halle, Leipzig da, und heute wurde das bisherige Tschechische Team von ihren Nachfolgern abgelöst. Zusätzlich gibt es noch zwei Personen aus Serbien/Balkan die bereits länger vor Ort sind. Die meisten anderen Gruppen hier sind so im Durchschnitt für etwas eine Woche hier und werden dann abgelöst.
Der Support hier besteht hauptsächlich aus Essen und heißem Chai vorbereiten und verteilen, Infos, Kleiderspenden verteilen und der medizinischen Erstversorgung. Die Refugees kommen zu Fuß oder mit Taxis meistens nachts oder im Morgengrauen von der bulgarischen Grenze aus in Dimitrovgrad an und sammeln sich dann hier an der Polizeistation, wo die Registrierung stattfindet. Es kommen im schnitt zwischen 200 und 400 Refugees am Tag, heute (Mittwoch) waren es 240. Neben Presevo mit mehreren Tausend Refugees pro Tag ist Dimitrovgrad damit der zweite „Hot Spot“ bei der Einreise nach Serbien, und der mehr oder weniger einzige an der bulgarischen Grenze.
An der Polizeistation hier gab es bis vor kurzem noch ein „Camp“ wo Refugees teilweise 2-3 Tage während der Registrierung untergekommen sind, und SupporterInnen eingeschränkten Zutritt erhalten haben um ihre Arbeit zu machen. Seit den Anschlägen von Paris, hat sich aber hier wohl die Stmmung geändert. Das Camp wurde geschlossen, die Supporter mehr oder weniger vertrieben. Jetzt erhalten die Refugees nach ihrer Ankunft bei der Polizei zuerst eine Nummer. Die Registrierung erfolgt dann im Laufe des Tages in zehner-Gruppen, wobei jede/r aus einer Gruppe immer die gleiche Nummer hat. Da die Registrierung wegen kaputter Computer ziemlich langsam abläuft müssen die meisten einen Tag und teilweise bis in die Nacht hinein warten, bis sie ihre Dokumente bekommen. Nachmittags und Nachts fahren dann 2-3 Busse wenn genug Leute fertig sind. Ausserdem fahren Taxis mit kleineren Gruppen von 5-7 Leuten direkt nach Belgrad. Die Refugees deren Papiere nicht fertig sind müssen dann auf dem blanken Boden vor der Polizeistation schlafen, obwohl eigentlich mehrere Wohncontainer zur Verfügung stehen.
Die selbstorganisierten SupporterInnen hier sind im Rahmen einer selbstgegründeteten Hilfsorganisation „I’m Human“ aktiv. Wir haben aber keine Erlaubnis mehr das Polizeigelände zu betreten, oder offiziell überhaupt irgendetwas zu helfen sondern sind nur geduldet. Vor der Polizeistation ist daher auf der Straße den SupporterInnen auf dem breiten Bürgersteig ein Bereich zugewiesen, wo wir Suppe, Chai, Medikamente und Kleidung austeilen dürfen. Die Refugees können dann während dem Registrierungsprozess raus kommen und dort versorgt werden. Diese Versorgung wird auch aktuell durch die Polizei weitestgehend unbehindert ermöglicht. Allerdings gibt es trotzdem immer wieder Schikane durch Polizei oder die örtliche Stadtverwaltung. Da inzwischen faktisch keine andere Hilfsorganisation mehr vor ort ist, ist man auf die selbstorganisierten SupporterInnen angewiesen, aber wir sind unbeliebt. Vermutlich wird im Laufe der nächsten Wochen eine andere größere und vermutlich auch unbeweglichere und teilnahmslosere Organisation eine Akkreditierung für ein neues „Camp“ bekommen.
Die Refugees hier kommen alle aus Bulgarien, und sind zum größten Teil Afghanen, einige wenige Iraker, Syrer oder Pakistanis. Die meisten sind junge Männer, um die zwanzig, aber auch viele Minderjährige, und sind in Gruppen von ca. 40 Personen durch Bulgarien unterwegs gewesen. Viele erzählen von Push-Backs an der bulgarisch-türkischen Grenze dievon
bulgarischer Polizei mit brutaler Gewalt durchgeführt werden. Wir haben allein heute mehrere Leute mit gebrochener Nase aufgrund mangelnder Möglichkeiten unversorgt lassen müssen. Viele erzählen auch, dass sie an der bulgarisch-serbischen Grenze erwischt werden und dann in Bulgarien 10-12 Tage im Knast sitzen, bis sie aufgefordert werden das Land zu verlassen. Versuchen sie das allerdings in serbische Richtung, werden sie erneut eingeperrt. In einem Interview gestern Nacht wurde auch von einem Push-Back berichtet, an dem wohl teiweise deutsche Polizei
beteiligt gewesen sein soll, die wohl in Bulgarien auch vorhanden ist. Die meisten Menschen kommen hier an, nachdem sie sich 5 oder mehr Tage durch die Wälder geschlagen haben, ohne zu essen, mit Durchfall,Gelenk- und Muskelschmerzen, Ausschlag, entzündeten Füßen und ähnlichem.