Bericht: Demo „Valetta stoppen!“ vor Botschaften und GIZ in Berlin am 11.11.2016


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„STOP VALETTA!“ – Bericht der Gruppe no lager Halle über die Demonstration gegen menschenrechtswidrige Abschiebungsabkommen zwischen DE/ EU und afrikanischen Ländern am 11.11.2016 in Berlin.

 
Am Freitag, dem 11.11.2016 fanden in Berlin vor den Botschaften von Niger, Mali und Marokko sowie der GIZ Kundgebungen gegen die Abkommen statt, die in Folge des Valetta-Aktionsplans[1] zwischen europäischen und afrikanischen Staaten geschlossen werden. Die MachthaberInnen sichern sich darin unter ungleichen Verhältnissen ein „verbessertes Grenzmanagement“ gegen sogenannte „Entwicklungshilfe“ zu, während Interessen der Bevölkerung außen vor gelassen werden.
Der Tag bot vielen Einzelpersonen und Gruppen die Möglichkeit, in verschiedenen Sprachen und mit unterschiedlichen Übersetzungen, lautstark gegen diese Machenschaften zu protestieren und sich gemeinsam dagegen zu solidarisieren. Es gelte diese Abkommen nun in die Öffentlichkeit zu bringen und die kooperierenden Staaten zu mahnen und anzuklagen. Es sei nötig, PassantInnen zu informieren und die Botschaft in ganz Deutschland zirkulieren zu lassen. „Es hängt von uns ab, hier Druck zu machen. Die Macht der MigrantInnen ist groß“, sagte ein Mitglied der Gruppe Afrique-Europe-Interact (AEI) in einem der zwei organisierten Reisebusse. Etwa 120 Personen aus Berlin, Halle, Magdeburg, Bremen, Hamburg und anderen Städten kamen an diesem Tag zusammen und folgten so dem Aufruf der Gruppe AEI [2]. Erst einen Tag zuvor erreichte sie die verheerende Botschaft von weitergehenden Kooperationsvereinbarungen zwischen einer europäischen Delegation und Mali in Westafrika, um in letzter Konsequenz Menschen schneller abschieben zu können. Die EU soll ohne die Mitwirkung des Landes Mali Geflüchteten Passersatzdokumente (sog. „Laissez-passer“) ausstellen können.

An der Botschaft von Niger angekommen, rief ein Aktivist der Gruppe Lampedusa Hamburg: „Bewegungsfreiheit ist ein Recht aller ! WIR entscheiden, wann, wo und wie wir uns bewegen. Die Botschaft Nigers sowie die EU sind korrupt. Migration ist ein Teil Afrikas und kann nicht aufgehalten werden!“ Die Menschen demonstrierten durchgängig friedlich und klagten die Botschaft an, welche den Staat Niger repräsentieren solle. „Shame on you!“ – Schämt euch, war die zentrale Botschaft an diejenigen, welche das Leben vieler MigrantInnen ruinieren und „sogar noch stolz darauf sind“. Niger ist ein bedeutender Uranexporteur und lasse sich schamlos ausbeuten ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung. „Diese Abkommen sind eine Reproduktion des Kolonialismus, stoppt diese Praktiken!“, schreit ein Mensch in das Mikrophon und erhebt den Finger gegen die am Balkon und Fenster stehende nigrische Delegation. „Ihr seid nur da, weil wir da sind. Wir kommen so lange, bis ihr dieses dreckige Spiel beendet!“ Auch Frauen waren sehr präsent bei der Demonstration, u.a. die Gruppe Women in Exile. „Frauen arbeiten für nichts, müssen fliehen und ihr schickt sie zurück?!“, ruft eine Frau ins Mikrofon,„Ihr seid mitverantwortlich für die Politik der leeren Bäuche, Frauen sterben auf dem Weg nach Europa. EuropäerInnen hingegen brauchen nichts um nach Afrika zu kommen. Das ist das einseitige System der Profiteure.“ Gemeint sind die Visa- und Einreiseerleichterungen für Menschen aus der selbsternannten „Ersten Welt“, basierend auf Kolonialismus und anderen Ausbeutungsformen.
Vor der malischen Botschaft ging die Demonstration im Zentrum der Stadt weiter. Menschen blieben stehen und lasen die verteilten Flyer und Broschüren über die menschenunwürdigen Abkommen.[3] Zwei vorher gewählte RepräsentantInnen der Demonstration wurden während der Demonstration zum Gespräch geladen, wo sie den Botschaftsangehörigen den AEI-Protestbrief überreichten.[4]
Die Menschen schrien „Corrption? NON! Korruption? NEIN!“ und forderten, die Botschaft solle endlich ihre Interessen vertreten und nicht dem europäischen Diktat folgen. Immerhin hätten die Botschaft und der repräsentierte Staat kein Existenzrecht ohne das Volk. „Wir wollen hier arbeiten, um Geld in unser kaputtes Land zu schicken. Wir MigrantInnen bauen das Land auf. DAS ist Entwicklungshilfe der afrikanischen Diaspora! Wir unterstützen mehr als 20 Menschen in Afrika, also denkt nach, ob ihr noch eine weitere Person nach Afrika schicken wollt. Wenn wir zurückgehen, dann nur mit euch Korrupten.“ Die AktivistInnen schrien immer wieder zum Balkon hinauf und zeigten sich empört über die Ignoranz der Botschaftsangehörigen. Es erfolgte keine Kommunikation außerhalb der geschlossenen Räume. Die Menschen füllten den gesamten Platz vor der Botschaft mit Rufen, Gesängen und machten dadurch viele Menschen auf den Kampf um das Recht auf Leben und Bewegungsfreiheit aufmerksam. „Wir lassen uns nicht fremdbestimmen, wir haben keine Angst vor euch. Wir erheben uns gegen die Unverantwortlichkeit dieser Menschen, welche solch scheinheilige Verträge schließen. Die Geschichte hat uns hierher gebracht, wir sind die Enkel von Sklaven und wir werden keine Sklaven mehr sein“, ruft ein Aktivist. Eine andere Aktivistin fragt: “Auf welcher Seite steht ihr?! Wir sind hier, weil zu Hause eine Diktatur herrscht und ihr wollt uns abschieben? Leute sterben im Meer, ihr seid hier sicher in euren Häusern…Ihr arbeitet gegen die eigene Bevölkerung! Wir klagen euch an für unsere Situation, fehlende Bildung und ein fehlendes Gesundheitssystem. ES REICHT mit den Abschiebungen unschuldiger Menschen. Wir schieben EUCH ab!“ Unter heftigem Beifall solidarisieren sich sodann alle Menschen am Platz vor der Botschaft auch mit einem Mann, welcher aufgrund eines unter fragwürdigen Bedingungen ausgestellten Reisedokuments nach mehr als 20 Jahren Aufenthalt in Deutschland nach Mali abgeschoben wurde. Ohne Geld in seiner Tasche, findet der Mann sich in einem ihm fremdgewordenen Land wieder. Integration sieht anders aus und kommt dem nun etwa 45-jährigen Mann in keinem der Länder zuteil. Anschließend versammelten sich die AktivistInnen vor der marokkanischen Botschaft vor der roten Flagge mit grünem Stern und riefen wütend: „Wir sind hier, weil Europa unsere Länder zerstört.“ Thematisiert wurde insbesondere die tödliche Repression des marokkanischen Staates. In Gedenken an die Opfer der Massaker an der spanisch-marokkanischen Grenze, bei denen unzählige MigrantInnen ermordet wurden [5] und angesichts der stetig bleibenden Todeszahlen wird immer wieder gerufen: „Marroc, Assasin – Corrumpu – Criminelle ! Marokko ist an der Spitze der Repression der schwarzen Migrationsbewegung. Arretez la politique discriminatoire!“ Marokko als vermeintlich privilegiertes Land hat viele Abkommen mit EU-Ländern zur Kontrolle und Verhinderung von Migrationsbewegungen geschlossen, so etwa das sog. „Valetta-Abkommen“ vor einem Jahr. „Wie viele tödliche Abkommen mit Marokko, dem „Wachhund Europas“ will die EU noch schließen? AEI IST HIER ! Das ist die Stimme von Afrika!“, wird gerufen, als sich einige Fenster einen Spalt öffnen und sich Gesichter kurz zeigen. Die AktivistInnen solidarisierten sich an dieser Stelle mit Opfern der europäisch-afrikanischen Politik und insbesondere mit den Angeklagten des „March of Freedom“ nach Brüssel, denen nach unverhältnismäßiger Polizeigewalt am 29.11./01.12.2016 eine Verurteilung und damit weitere Repression drohen.[6] „Ihr seid die Terroristen ! Wie viele Menschen sollen noch ums Leben kommen? We are together, we will fight !“, schließt eine AktivistIn die Kundgebung vor der marokkanischen Botschaft ab.
Die Gruppe AEI berichtete, dass sich unweit der marokkanischen Botschaft ein Unternehmen befindet, welches in Marokko die tödlichen Grenzanlagen baut. So sieht eine todbringende Nachbarschaft aus, welche sinnbildlich für die Kooperation der EU und Deutschland mit afrikanischen Ländern steht.
Die GIZ, die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH, welche eigentlich für die Entwicklungszusammenarbeit und –hilfe unterstützend tätig sein sollte, ist „seit Valetta nur eine weitere Abschiebungsgehilfin und für die Verschlechterung der Situation in vielen Ländern verantwortlich“, wie ein Aktivist der AEI erläutert. Anfang März 2016 trafen sich verschiedene Botschaften um darüber zu beraten, wie Abschiebungen in Länder wie Eritrea, Somalia, Sudan und Äthiopien in Ostafrika erleichtert werden bzw. Grenzen im Vorfeld besser abgeschottet werden können. Das Treffen sollte streng geheim gehalten werden, um das Gesicht der EU zu wahren. „WIR DECKEN DAS AUF“, rufen die AktivistInnen, „Wir fordern die Durchsetzung des Rechts auf globale Bewegungsfreiheit für alle!“
Denn trotz einer hohen Asylanerkennungsquote in Deutschland (Eritrea 99 %, Somalia 81 % und 55 % für den Sudan), werden Abschiebungen in diese Länder vorgenommen. Die EU verhindere mit Hilfe des GIZ MigrantInnen den Zugang zu ihrem Recht auf Flüchtlingsanerkennung und Leben und nennt dies „Grenzmanagement“. AktivistInnen verdeutlichten, welche fatalen Konsequenzen dies hat und wie diese Kooperationspartner aussehen. Beispielsweise droht in Eritrea insbesondere Männern die Todesstrafe bei Verweigerung eines 10-jährigen Zwangsmilitärdienstes, es gibt faktisch keine Pressefreiheit, nie Wahlen und Folter ist ein gängiges Repressionsmittel. Dem untergetauchten sudanesischen Präsidenten Al-Bashir droht wegen Verbrechens an der Menschlichkeit ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Der Sudan führt unter den Augen der EU illegale Zurückschiebungen („Push backs“) von Geflüchteten aus Eritrea durch, obwohl sie als geflohene Deserteure mit dem Tod bedroht werden. Eine sudanesische Aktivistin klagt an und mobilisiert Verbündete gegen diese Machenschaften:
„Al Bashir is a crminal, GIZ is supporting criminals. The shame is in public, killing is officially accepted by the state. There are thousand cases of rape of the community under the eyes of UN, Europe and Germany. The lives of people is under threath, you are full of blood! We are asking you for nothing, we will fight and inform ourselves.“ Die Demonstration ist laut und übertönt die Autos, man sieht Menschen in der Berliner Repräsentanz der GIZ essen, schwatzen und lachen. Es ist ein lächerliches Bild. Die AktivistInnen buhen und brüllen, als sie erfahren, das am selben Morgen eine Informationsveranstaltung durchgeführt worden ist über die Kooperation mit ostafrikanischen Ländern.[7] Die Position der AEI ist eindeutig: „Keine Unterstützung tödlicher Staaten! Keine Zusammenarbeit mit Diktatoren und Kriegsverbrechern! Diese Länder sind keine Partnerländer! Sie sind Feinde der Menschlichkeit!“ 
In einem abschließenden Treffen in Kreuzberg sagt O. als „ehemaliger Veteran aus Sachsen-Anhalt“: „Die Geflüchteten sind k.o., aber lasst euch nicht entmutigen. You can’t stay in the lager to change your situation. Raise and protest! Keep continuing the fight. We lost our homes, what else is frightening us?“ Zustimmend hält die Gruppe fest: „Staat und das Lagersystem verursachen psychische Probleme – stoppt endlich, uns zu kriminalisieren!“ Die Demonstration war sehr kraftvoll und motivierend für weitere Proteste gegen die Politik der ProfiteurInnen. Gemeinsam kämpfen wir gegen Rassismus, staatliche Repression und gegen Abschiebungen. Es gilt, die Botschaft gegen menschenrechtswidrige Abschiebungsabkommen zu verbreiten, zu demonstrieren, sich gegenseitig zu ermuntern und zu informieren, so z.B. über geplante „Sammelvorführungen“ im „Maritim Hotel Halle“ zur Ausstellung von Passersatzdokumenten durch deutsche Behörden um Geflüchtete abschieben zu können.[8]
 
[1] https://afrique-europe-interact.net/1566-0-Hans-Georg-Eberl-Valetta-Prozess.html
[2] https://afrique-europe-interact.net/1567-0-Demo-in-Berlin-11-November-2016.html
[3] https://afrique-europe-interact.net/files/2016_aei_a5_brosch__re_web.pdf
[4] https://afrique-europe-interact.net/1568-0-Protestbrief-an-afrikanische-Botschaften.html
[5] https://afrique-europe-interact.net/1143-0-Aktionen.html
[6] http://www.taz.de/Brutaler-Polizeieinsatz-in-Luxemburg/!5040551/
[7] Vgl. https://www.giz.de/de/mediathek/41460.html
[8] http://antiranetlsa.de/2016/11/16/attention-warning-warnung/ /http://antiranetlsa.de/2016/11/24/wir-sind-keine-ware-die-man-verkaufen-kann/