Bericht zur Abschiebeanhörung am 4.9.2017 in Halle/Saale

Am Montag, dem 04.09.2017 fand in Neustadt-Halle (Saale) eine „Botschaftsanhörung“ mit einer Delegation aus Guinea-Bissau statt.
Koordiniert wird das Verfahren durch die deutschen Ausländerbehörden in Räumlichkeiten des Landesverwaltungsamtes Halle. In einem zuvor wahrscheinlich leerstehenden Gebäudeteil der Neustädter Passage 13, gleich hinter der Polizeistation Halle-Neustadt, wurden betroffene Personen für mehrere Stunden mit der Delegation konfrontiert. Lediglich ein Schild mit der Aufschrift „Anhörung – Audiência“ markierte den Eingang zum Gebäude. Zum Seitenausgang hin sicherten drei PolizeibeamtInnen den Weg. Mehrere Polizeitransporter, Dienstwagen und ein großer weißer Reisebus standen auf dem „extra blockierten Abschnitt“ (Wortlaut Mitarbeiterin) des Parkplatzes bereit.
Ziel dieser Botschaftsanhörungen ist es, geflüchtete Personen durch die Delegation identifizieren zu lassen. Die Ausländerbehörden nennen dies „Einleitung der Abschiebung und Passersatzbeschaffungsmanahmen“. Gemeinsam haben die betroffenen Personen nur eines: Sie besitzen keinen Reisepass und gaben bei Stellung ihres Asylantrages an, aus Guinea-Bissau zu kommen. Ohne Reisepass und damit ohne geklärte Identität jedoch galten sie bislang als nicht abschiebbar.
Die Delegation aus Guinea-Bissau soll die Geflüchteten Angaben zufolge nach aufgrund von genereller Erscheinung der Person, Dialekt, Kopfform, traditionellen Narben, etc. „identifizieren“. Steht die Identität der Person fest, kann ihr durch die Ausländerbehörde ein Passersatzpapier (sog. „laissez-passé“) ausgestellt werden.
Die Personen erhielten während der Anhörung unter anderem Informationen zur „freiwilligen Ausreise“ des IOM (Internationale Organisation für Migration), welche den betroffenen Personen „angeboten“ wird und ebenfalls mit einem „laissez-passer“-Passersatz möglich wäre. Wird diesem Angebot nicht entsprochen, so droht den Personen die unangekündigte Abschiebung.

Die Ausländerbehörde bedroht die betroffenen Menschen, welche nicht zur „Botschaftsanhörung“ erscheinen mit strafrechtlichen, ausländerrechtlichen und asylrechtlichen Konsequenzen, wenn sie ihrer „Mitwirkungspflicht“ nicht nachkommen. Diese besteht unter anderem darin, zur Klärung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit beizutragen. Wie dies durch eine unbekannte Delegation erfolgen soll, basierend auf optischen und sprachlichen Merkmalen der Personen, ist unerklärlich. So kam es vor, dass Menschen ohne Reisepass (und damit ohne dokumentierte Identität) in Länder abgeschoben wurden, die sie zuvor nie gesehen haben. Während in Deutschland bei jedem Behördengang strenge Anforderungen an den Identitätsnachweis gestellt werden, so z.B. durch Vorlage des Personalausweises und/oder der Geburtsurkunde, so ist dies für die Ausländerbehörden in Deutschland in Bezug auf afrikanische Länder wie Guinea-Bissau, Benin, Burkina Faso oder Mali und der Abschiebung geflüchteter Menschen dorthin unerheblich. Während deutsche Behörden die Aussage einer Person, sie komme aus Guinea-Bissau, nicht akzeptieren, soll dieselbe Aussage vor der Delegation mit deren Bestätigung für eine Abschiebung ausreichen.
Einem Bericht zufolge behauptete die Delegation am Montag, „die Botschaft in [wäre] Berlin alt“ und die Konfrontation mit der Delegation in Halle das „neue“ Verfahren zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht. Vermutlich betrachten die Ausländerbehörden die Passbeschaffung durch die Geflüchteten selber im Wege einer Vorstellung bei den Botschaften in Berlin als umständlich und erfolglos und greifen auf solche Botschaftsanhörungen als weiteres Abschiebungs-Mittel zurück.
So ist zu beobachten, dass Botschaftsanhörungen seit ca. einem Jahr immer öfter durch Ausländerbehörden schamlos organisiert und ohne große Öffentlichkeit durchgeführt werden. Durch Abkommen mit den jeweiligen Ländern konnten auch in Halle (Saale) „Botschafts-“ bzw. Abschiebungs-Anhörungen mit Delegationen aus Benin, Mali und Burkina-Faso stattfinden.
Deutlich wird, dass die Ausländerbehörden keine Mittel scheuen, Menschen aus Westafrika in Deutschland abzuschieben – auch nach 23 Jahren Leben in diesem Land, wie es einer Person aus Burkina-Faso im letzten Jahr ergangen ist.
Es steht fest, dass in den kommenden Tagen auch wieder Abschiebungs-Anhörungen in den Räumlichkeiten des Landesverwaltungsamtes stattfinden.
Möglicherweise finden die Anhörungen bis zum Montag, dem 11.09.2017 statt. Betroffen sind nicht nur Menschen aus Sachsen-Anhalt. Auch Personen aus Hamburg und Dortmund z.B. wurden vorgeladen, sodass von einer bundesweiten Organisation auszugehen ist.
Berichten zufolge wurden Menschen aus Merseburg am Dienstag, dem 05.09.2017 mit einem Bus zur Abschiebungs-Anhörung gebracht. Nicht einmal die Verweigerung einer Person wurde berücksichtigt, welche ihre Kinder in Merseburg von der Schule abholen musste. Einer Person wurde am Zahltag im August mitgeteilt, sie bekäme nur einen Teil der Sozialleistung und solle am 05.09.2017 noch einmal erscheinen um den Rest zu erhalten. Am 05.09.2017 wurde dann mitgeteilt, die Person müsse erst einmal zur Botschaftsanhörung in Halle gehen, um den Rest des Geldes zu erhalten. Ausländerbehörde und Sozialamt in Merseburg befinden sich im selben Gebäude. Die Person erhielt keine schriftliche Vorladung zur Botschaftsanhörung. Das Handy musste die betroffenen Menschen vor der Anhörung schon in der Ausländerbehörde Merseburg lassen, sodass sie nicht erreichbar war und auch keine AnwaeltIn anrufen konnte. Möglicherweise wurden Informationen ausgelesen.
Die Ausländerbehörden lassen Menschen, welche nicht zur Abschiebungs-Anhörung erscheinen, von der Polizei vorführen.