[Halberstadt] BewohnerInnen der ZASt setzen sich Abschiebung zur Wehr

Fast tagtäglich werden geflüchtete Menschen aus dem Zentralen Aufnahmelager (ZASt) in Halberstadt abgeschoben. Sei es, weil sie laut sogenannter Dublin-Verordnung in ein anderes europäisches Land zurückkehren müssen oder weil es sich um eine Abschiebung in das Herkunftsland handelt.
Tagtäglich und insbesondere nachts heisst das für mehrere hundert Menschen (inklusive Familien mit Kindern) Angst, Unsicherheit und Schlaflosigkeit. Denn wie soll man ruhig leben, wenn man nicht weiss, ob nicht vor der eigenen Tür eines Nachts die Polizei steht und einen gewaltvoll mitnimmt. Wie soll man ruhig schlafen, wenn zum wiederholten mal die Polizei auf der Suche nach einem Nachbarn, der abgeschoben werden soll, ungefragt und ohne rechtliche Legitimation auch im eigenen Zimmer steht.
Dieser Zustand zeichnet das Leben der Menschen, die 18 Monate in der ZAST leben müssen, sofern sie nicht vorher abgeschoben wurden. Er macht sie kaputt, krank und wütend. Zu Recht!
Wie die MZ berichtete setzten sich nun diese Woche mehrere Menschen bei einer Abschiebung zu Wehr und protestierten. Ein 22 Jähriger Mann wurde von der Polizei abgeholt. Daraufhin entlud sich der Protest von ca. 30 anderen Bewohnern der ZASt, in dem sie Geschirr aus dem Fenster warfen und Lärm machten. Die MZ schreibt von „Ausschreitungen“, die von Beamten unterbunden werden konnten. Gegen mehrere Menschen wird nun ein Verfahren wegen Landfriedensbruch eingeleitet. Dies wiederum wird dazu führen, dass die betreffenden Menschen, wenn sie verurteilt werden, als Straftäter gelten und sie dann wiederum noch einfacher abzuschieben sind.
Es ist bezeichnend für die Migrationspolitik dieses Landes, als auch für den medialen und gesellschaftlichen Diskurs, dass es im Zusammenhang mit Abschiebungen, fast nie zur Sprache kommt, von wem in einer solchen Situation die Gewalt ausgeht. Es ist selbst der Begriff, der sprachlich verschleiert, welches Ausmaß an Fremdeinwirkung und völliger Entrechtung eine Abschiebung mit sich bringt. Das Wort Deportation wird im Deutschen nicht mehr verwendet. Zu Groß die Nähe zu einer Gleichsetzung zu den Millionfachen Deporationen im Holocaust. Und ja, es wäre nicht richtig, das heutige und damalige Geschehen gleichzusetzen. Und trotzdem braucht es eine Sichtbarmachung, auch in der Sprache und im Diskurs, was „Abschiebung“ tatsächlich meint, nämlich ganz bestimmt nicht ein normaler, bürokratischer Akt.
Es ist massive staatliche Gewalt, mit der Menschen, die Schutzsuchende sind, die ihr Recht auf Rechte, auf Bewegungsfreiheit und Unverletzlichkeit suchen und fordern, gezwungen werden, sich auf eine Reise zu begeben, die nachweislich für sehr viele Menschen in noch auswegloseren Lebensumständen enden. Sei es, weil die Betroffenen auf der Strasse in Italien oder den völlig überfüllten Camps in Griechenland landen. Sei es, weil die Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen politisch völlig instabile Systeme herrschen, der Klimawandel angekommen ist oder Terror und Krieg herrscht.
Bereits in den vergangenen Monaten und Jahren, schaffen es trotz der Isolation in der ZASt immer wieder Berichte in die Öffentlichkeit, die zeigen, wie sich das Leben innerhalb der Zäune und Mauern des Aufnahmelagers gestaltet. Zuletzt wurde bekannt, dass Mitarbeiter der Security Bewohner geschlagen und bedroht haben.
Das Antirassistische Netzwerk Sachsen-Anhalt steht im Kontakt mit Bewohnerinnen der ZASt und versucht diese so gut es geht in den gegebenen Umständen zu unterstützen.
Das Netzwerk fordert
+ Keine strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die sich gegen Abschiebungen wehren
+ ein sofortiges Ende der unrechtmäßigen Durchsuchungen von Privaträumen in der ZASt und eine Einhaltung der Wahrung der Privatsphäre
+ ein Ende der Dublin-Abschiebungen und des Dublin-Systems
+ ein sofortigen Abschiebestopp in alle Krisenregionen weltweit
+ ein Recht auf Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung aller Menschen
+ eine Umkehr in der verschärften, rassistischen Asylpolitik und eine Rücknahme des „Hau-ab-Gesetzt“
+ Grundlegende Verbesserungen der Lebenssituation in der ZASt, d.h.
* eine unabhängige Migrations- und Asylverfahrensberatung auf dem Gelände für alle
* ausreichend ÜbersetzerInnen für sämtliche Beratungs- und Behördengespräche
* ein Ende des Angstregimes, dass durch die Security im Lager herrscht
* eine Gesundheitsfördernde medizinische Versorgung für alle
* ausreichend Plätzte in den Deutschkursen und bei der Kinderbetreuung
* Bargeld und Selbsversorgung statt Kantinenessen und Gutscheinen
Das Antirassistische Netzwerk Sachsen-Anhalt, Okt 2019