[Halberstadt] Über die Kriminalisierung von solidarischem Protest


05.04.2020: Polizei drängte Aktivist*innen zusammen und verteilte Anzeigen aufgrund angeblichem Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz
Während sich das ganze Land im Social Distancing übt, waren Anfang April in der ZASt in Halberstadt über 850 Menschen auf engem Raum zusammengepfercht. Über die unhaltbaren Zustände, wie den Mangel an Hygieneprodukten, die unzureichende bis mangelhafte Essensversorgung sowie die Gewalt der Security wurde in den vergangenen Wochen bereits viel berichtet. Etliche Menschen begannen, ihr Essen zu verweigern und ihre Kritik, der Corona Pandemie schutzlos ausgeliefert zu sein, lauter werden zu lassen.

Aufgrund der katastrophalen, humanitär zu eskalieren drohenden Situation innerhalb der ZASt, solidarisierten sich am Sonntag, den 05. April spontan einige Menschen mit den protestierenden Geflüchteten. Vereinzelt, zu unterschiedlichen Zeiten und im Mindestabstand von mehreren Metern (teilweise 15- 20m) liefen Unterstützer*innen in Richtung ZASt, wo die ersten von ihnen ca. 800 m vor dem Lager von der Polizei gestoppt wurden. Während einige Unterstützer*innen den anwesenden Beamt*innen ihr Hilfsanliegen erklärten, trafen immer mehr Personen ein, welche Sachspenden und Lebensmittel zur ZASt bringen wollten. All kontrollierten Personen hielten weiterhin einen ausreichenden Sicherheitsabstand von einander ein.
Laut Aussage der kontrollierten Personen sperrte die Polizei die Straße und begann die Menschen zusammenzudrängen. Die Polizist*innen forderten die Einzelpersonen auf, sich nah aneinander zu stellen. Die Hinweise, das dies nicht geht aufgrund der Infektionsgefahr, beachteten die Beamt*innen nicht, sie erwiderten darauf: „Halt die Fresse.“ Erst durch das Kesseln der Polizei entstand die Situation einer menschlichen Nähe, die in Zeiten von Corona so verehrend sein kann. Es ist festzuhalten, dass es erst nach dieser polizeilichen Maßnahme nicht mehr möglich war, den Sicherheitsabstand einzuhalten. In der Folge wurden 9 Menschen festgehalten und dies über einen Zeitraum von etwa einer Stunde auf engem Raum, was kaum in Sinne der Bestrebungen den Virus einzudämmen sein kann. Zwei weitere Menschen wurden willkürlich einige Zeit später, einen halben Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt, aufgegriffen und aufgrund des Verdachts an der Teilnahme an einer illegalen Versammlung in den Polizeikessel abgeführt.
Obwohl die eingekesselten Personen glaubhaft versicherten, dass erst das unverhältnismäßige Eingreifen der Beamt*innen dazu geführt habe, dass der Tatvorwurf der illegalen Versammlung konstruiert werden konnte, mussten sie unter Zwang, also per Leibesdurchsuchung, ihre Personalien abgeben und wurden mit weiteren Repressionsdrohungen sowie einem Platzverweis für den Bereich der ZASt für die Dauer der Quarantäne belegt. Nicht nur, dass an diesem Tag der dringend benötigte Support nicht möglich war, so wurde dadurch auch zukünftige Unterstützung illegalisiert.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgericht sollte sich dieses Vorgehen der Polizei im Nachhinein als falsch erwiesen haben. Am 15.4.2020 urteilten die Richter*innen in Karlsruhe, dass im Sinne des demokratischen Prinzips Grundrechte wie die Demonstrationsfreiheit auch in Corona-Zeiten bestand haben, insbesondere, da es vor allem Minderheiten schützt und ihnen Gehör verschafft. Demonstrationen und Versammlungen sind also, wenn sie den Auflagen zum Infektionsschutz entsprechen, möglich. [1]
Wir stehen weiterhin solidarisch hinter den Menschen der ZASt und fordern eine dezentrale Unterbringung und eine menschenwürdige Behandlung aller Bewohner*innen!
[1] Urteil aus Karlsruhe