[Halle/Saale] „ES WAR WIE DIE HÖLLE“


Ein Bericht zweier Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft Huttenstraße (Halle/Saale) über die einmonatige unfreiwillige Quarantäne.
28.04.2020
[English below]
Text als pdf / Deutsch/ English
Die Behörden der Stadt behaupten, dass alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden, um Bewohner*innen vor einer Ansteckung mit Covid-19 zu schützen und haben versichert, dass positiv getestete getrennt von gesunden Personen untergebracht wurden.
H: Falsch. Das stimmt nicht. Sie haben alle Leute, Zimmer für Zimmer, aufgerufen und gesagt: „Wir haben gute Neuigkeiten für euch. Aber drei Leute wurden positiv getestet.“ Und ich habe sie gefragt: „Okay, aber wenn drei Leute positiv sind, wie sollen wir hier zusammen wohnen bleiben?“ Sie sagten: „Nein, sie werden getrennt von euch bleiben. Wenn ihr nicht zu ihnen geht, dann werdet ihr gesund bleiben.“ Okay, aber was mich sehr verwundert hat, ist, dass der gleiche Mitarbeiter, der uns Geld und Essen gebracht hat, auch mit den Menschen zusammen war, die angesteckt wurden. Also habe ich meinen Freund [einer der positiv getesteten] angerufen und gefragt, ob derselbe Mitarbeiter in seinem Zimmer wäre. Und er sagte ja, und schickte mir sogar ein Video. Der Mitarbeiter war nicht geschützt – keine Maske, keine Handschuhe. Und ich meinte: „Oh, was hier passiert, ist falsch. Ich meine, wie kann es sein, dass bei unserer Ankunft in Halle niemand positiv war? Alle waren gesund. Damals haben sie uns keine Ergebnisse mitgeteilt. Sie haben uns für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt und gesagt, dass sie uns beobachten wollten. Also machten sie einen weiteren Test, der zweite mittlerweile und fanden heraus, dass nun drei Personen positiv waren.
Wurdet ihr von den positiv Getesteten getrennt?

H: Sie kamen aus Halberstadt [aus der ZASt, der Zentralen Aufnahmestelle für Geflüchete in Sachsen-Anhalt]. Sie haben mir zuvor eine Nachricht geschrieben. Einer von ihnen hat mir gesagt, dass sie auch in die Huttenstraße kommen würden! Er sagte uns, dass sie positiv getestet worden wären. Ich war erstaunt. Also redete ich mit ihnen und sie sagten: „Ja, wir sind positiv. Siehst du, wir sind positiv und ihr habt keinen Schutz! Keine Masken, keine Handschuhe.“ Und sie haben auch mit einem der Mitarbeiter*innen gesprochen und gesagt: „Wir wurden positiv getestet und was ist mit euch? Ihr habt keine Schutzmaßnahmen? Gleichzeitig gebt ihr uns unsere Tests auf diese Weise – Ich meine, wir sitzen hier am gleichen Tisch zusammen.“ Und der Mitarbeiter, ein bisschen lächelnd, meinte: „Nein, wir nehmen dieses Risiko auf uns. Es ist ein Risiko, aber es ist in Ordnung.“ Also fragten sie: „Was wollt ihr nun tun? Behaltet ihr uns hier? Oder transferiert ihr den Rest der Leute hier?“ Das war, was mein Freund – einer der positiv getesteten – mir erzählt hat. Der Mitarbeiter sagte: „Nein, wir werden euch nicht woanders hinbringen. Wir behalten euch hier [mit allen anderen Bewohner*innen] zusammen. Ihr bleibt hier, aber ihr werdet eure eigenen Räumlichkeiten zu dritt haben.“ Aber aus meinen eigenen Beobachtungen heraus glaube ich, dass das der Fehler war. Wir, wir wohnen im ersten Stockwerk. Aber wir mussten in die zweite Etage, um die Küche zu benutzen. Und jene, die positiv getestet wurden, wohnten in der zweiten Etage. Also begegnete ich ihnen dort etwa zwei Mal [durch Zufall]. Kannst du dir das vorstellen? Und manchmal, wenn ich dahin ging, hatte ich sogar Angst.
Hast du den Eindruck, dass alle Leute gut über die Situation informiert wurden?
H: Weißt du, ich verstehe Englisch. Aber das Problem ist, dass viele Leute kein Englisch verstehen. Die Mitarbeiter*innen sprachen nur Englisch und Deutsch. Und wir sprechen kein Arabisch. Also haben viele von den arabischen Leuten überhaupt keine Informationen erhalten, denke ich. Es gab überhaupt keine Übersetzer*innen.
Hattest du den Eindruck, dass das Personal besondere Schutzmaßnahmen ergriffen hat?
H: An dem Tag, als der Bericht von einem Transfer einer positiv getesteten Person aus Halberstadt nach Halle in den Nachrichten war, trugen alle Mitarbeiter*innen Schutzmasken. Sie waren besorgt, weil es in den Nachrichten war. Als wir drei Tage nach dem ersten Test erfuhren, dass niemand von uns positiv getestet wurde, hörten sie auf, Masken zu tragen und trugen für die gesamte Zeit der Quarantäne nie wieder welche. Sie haben ihres Verhalten sehr verändert … Wir alle aus der Huttenstraße – ganz egal wen du fragst – sind uns nicht sicher, ob die Information bezüglich der drei positiv getesteten Personen wirklich stimmte. Wir vertrauen denen nicht, weil … wie bereits gesagt mussten wir dieselbe Küche benutzen!
Wie verlief euer Transfer nach Halle?
F: Vor diesem Corona waren wir alle zusammen in Magdeburg. Wir wussten nichts über einen Transfer. Wir gingen bloß in die Mensa [unserer Unterkunft] in Magdeburg, wo wir unsere Namen lesen konnten und dass wir nach Halle transferiert werden. Am Tag des Transfers, wurde unsere Temperatur gemessen und wir bekamen Schutzmasken. Also zogen alle Schutzmasken an. Wir bestiegen den Bus aus Magdeburg und kamen hier her, nach Halle. Der Bus hielt an und uns wurde gesagt, das Gesundheitsamt würde kommen. Sie machten den Coronavirus-Test und brachten uns zur Huttenstraße 57.
Was passierte als Nächstes?
F: Wir bekamen die Information, dass wir drei Tage in der Huttenstraße verbringen müssen. So übel. Wir verbracht dort drei Tage. Sie kamen wieder und sagten uns, eine Person hätte den Virus. Wir müssten zwei Wochen lang warten und nach diesen zwei Wochen einen erneuten Test machen. Nach diesen zwei Wochen, als sie den zweiten Test machten, waren drei weitere Personen positiv. Sie sagten, sie müssten uns dort für zwei weitere Wochen behalten. [Aber] die Frage, die ich mir stellte, war: warum sagen sie eine Person sei positiv getestet worden und nehmen diese nicht raus aus der Unterkunft? Sie ließen die Person da. Wie kann das sein? Wer ist dafür verantwortlich? Das ist nämlich der Grund, warum wir einen Monat in Quarantäne verbringen mussten. Noch nie in meinem Leben, war ich nur in einem Gebäude. Es war wie die Hölle für mich!
Wie ist die Situation jetzt?
Jetzt ist alles besser: Wir können wieder raus gehen. Du kannst kaufen, was du willst! Wir müssen also unsere Dokumente ändern, richtig? Das ist erstmal alles. Wir müssen abwarten. Die Dinge müssen wieder in Ordnung kommen. Jetzt sind wir in Not. Wir haben euch vorher erzählt, dass die Küche auf unserer Etage nicht funktioniert, also hab ich heute beim Sozialarbeiter nachgefragt. Er meinte nur: „Ja, okay“, und reparierte sie. Alles ging so schnell. Jetzt gibt es also kein Problem mehr. Ich hab ihn auch nochmals versucht zu fragen: „Wer war für die Quarantäne zuständig? Warum habt ihr nichts gemacht? Oder wie ist das möglich, dass sich niemand beschwert hat?“ Aber die Sache ist, dass hier vorher keine Sozialarbeiter*innen waren. Als er das letzte Mal kam, war ich gerade in der Küche und sie stellten einen Mann als unseren Sozialarbeiter vor, aber ich hab diese Person noch nie zuvor gesehen. Jetzt kann ich einfach erstmal nur sagen, dass die Zeit in Quarantäne nicht einfach war.

„IT WAS LIKE HELL“
Report on the involuntary, month-long quarantine of Huttenstraße camp Halle/Saale, recounted by two inhabitant
s.
28.04.2020
The city authorities are claiming that all necessary measures to protect camp inhabitants from infection were taken, and that they ensured separation between those tested positive and those tested negative at all times.
H: False. It’s not true. They called all the people room by room and said: „Ok, well, good news for you: You are tested negative. But there are three people here tested positive.“ And when they called us, I asked them: „Okay, if there are three people positive, how are we going to stay with them?“ They said, „No, they’re going to stay separated. If you don’t go to them, you will stay negative.“ Okay, but the thing which surprised me a lot was that the employee who brings us money and food was also with the people that were tested positive. So I called my friend [one of those tested positive] by phone and asked him, if the same employee is at their room. And he said, yes, and even sent me a video. The employee had no protection – no mask, no gloves. And I said: Oh, something wrong is going on. I mean, how can it be, that when we arrived in Halle – no one was positive? Everyone was negative. Back then, they didn’t give us any results. But they kept us for two weeks in quarantine and said they wanted to observe us. So they made another test, the second test and found out, that three person were positive now.
Were you seperated from those tested positive?
H: They came from Halberstadt (ZASt). They sent me messages before. I did not know that they were also at Huttenstraße. One of them told me then, that they’re also at Huttenstraße! He told us that they are positive. I was surprised. So I talked to them and they said „Yes, we’re positive. You see, we are positive and you don’t have any protection! No mask, no gloves.“ And they also spoke to one of the employees and said: „We are tested positive and you? You don’t have any protection? At the same time, you give us our test like this – I mean, we are at the same table.” And the employee – he smiled a little bit and said: „No, we will take this risk. It’s a risk, but it’s okay.“ So we asked: „Okay, but what are you going to do now? Are you going to keep us here? Or do you remove the rest of the people here?“ That was, what my friend told me – one of the people that were tested positive. The employee said: „No. We are not going to remove you. We are going to keep you [with everyone else] in one place. And we are going to keep you there, but you will have your own space, for you three.“ But from my own observation, I think, there was a mistake. For us, we are living on the first floor. But we needed to go to the second floor to use the kitchen. And those who were tested positive were living on the second floor. So for me, I met them there for like two times [by chance]. Can you imagine? And sometimes when I went there, I was even afraid.
Did you feel everyone was well informed about the situation?
H: You know, I understand English. But the problem is that a lot of people don’t understand English. The employees just spoke English and German. And we don’t speak Arabic. So a lot of the Arabic people did not get any information, I guess. There was no translator at all.
Did you feel the employees were taking safety measures seriously otherwise?
H: That day it was in the news that a guy came to Halle from Halberstadt [and was tested positive] – and everybody of the employees were wearing masks. They were afraid because it was in the news. But after three days when they told us that nobody is positive, they stopped wearing masks. And they never wore masks again for the whole time that we had been in quarantine. So they really changed the way they behaved …  And for all of us at Huttenstraße – regardless of whom you’ll ask – we’re not sure if the informationen, that three person were tested positive, is true. We don’t trust them because … Remember we had to use the same kitchen with the three persons who got tested positive!
How were you transferred to Halle?
F: Before this Corona, we were altogether in Magdeburg. We never knew anything about transfer. We just went to the canteen [at our camp] in Magdeburg. We saw our names there, that we’ll have a transfer to Halle. On the day of the transfer, they took our temperature and they gave us masks. So everybody put on masks. We entered the bus from Magdeburg and came here to Halle. So the driver stopped there and told us, okay, the Gesundheitsamt will come. They made the Coronavirus test. They took us to that Huttenstraße Nr. 57.
What happened after?
F: We got the information, that we have to spend three days at Huttenstraße. So bad. We spent there three days. They came again and told us, that one person has Coronavirus. We had to wait for two weeks and after these two weeks, we had to conduct a Coronavirus test again. After these two weeks when they made a second test, three more persons were positive. So they said, they have to keep us there for two more weeks. [But] the question I had, was, why do they say one person has coronavirus, but they didn’t take the person out [of the camp]? They left the person there. How did this come? Who of the authorities is responsible for this? Because due to this, we had to spend one month in quarantine. Never during my life I’ve been just in one building. And it was like a hell to me!
How is the situation right now?
F: Now, everything is good. We can now go outside. You can buy what you want to buy! So we have to change our (asylum) documents now, right? That is all for now. We have to wait for that. The settings have now to be put into places. And now we are in need. We told you before, that the kitchen at our floor was not working. So today I went complaining to the social worker. And he just said: „Yes, okay“, and fixed it. Everything went on so fast. So now, there is no problem anymore. I also tried to ask him again: „Who was responsible for the quarantine? Why did you not do anything? Or how was it that nobody complained?“ But the thing is, that there haven’t been any social workers here before. The last time, he came, I was in the kitchen and they introduced one guy as our social worker. But I have never seen this guy before … So for now, I can just tell you: that the time during quarantine was not easy.