Protest in Bamako/Mali gegen Abschiebung und Valetta-Prozess
Von Afrique Europe Interact
Quelle / texte en francaise
Am Freitag, 9. September 2016 protestierte die malische Sektion des Netzwerks Afrique-Europe Interact vor der deutschen Botschaft in Malis Hauptstadt Bamako. Der Protest richtete sich gegen die aktuelle Abschiebe-Bedrohung gegen Malier_innen, die in Deutschland als Migrant_innen und Geflüchtete ohne sicheren Aufenthaltsstatus leben. Wichtiger Anlass: die Vorladung zahlreicher Malier_innen in Deutschland zu “ Anhörungen zur Identitätsfeststellung“, die zur Ausstellung von Reisedokumenten für Abschiebungen dienen. Gleichzeitig verurteilten die Protestierenden die „La Valetta-Abkommen“ zwischen europäischen und afrikanischen Staaten zur Schließung der Grenzen und Erleichterung von Abschiebungen.
Die Kundgebung, an der sich ca. 50 Menschen beteiligten, hinterließ starken Eindruck in Bamako: Mehrere Tageszeitungen und Radiostationen berichteten und es gab zahlreiche positive Reaktionen und Glückwünsche für den Protest. Auch die Mitarbeiter_innen der deutschen Botschaft waren recht beeindruckt, kamen heraus und machten Fotos. Dadurch wird auch den Behörden in Deutschland der Protest in Mali gegen ihre Abschiebepraktiken nicht verborgen bleiben
Bedauerlicherweise wurde dieser friedliche Protest am Ende noch mit polizeilicher Repression konfrontiert: Nach der Kundgebung, auf dem Nachhauseweg, wurden drei Aktivisten von AEI Mali festgenommen und ca. 10 Stunden lang auf der Polizeistation festgehalten. Es ist jedoch auch erwähnenswert, dass sogar einer der Polizisten am Ende seine Freude über die Protestaktion erklärte – er selbst habe einen Bruder in Deutschland, der ebenfalls von Abschiebung bedroht ist.
Die Kundgebung vor der deutschen Botschaft lässt hoffen, dass Abschiebekollaboration und die Valetta-Abkommen in Zukunft mit wachsendem, sichtbaren Protest aus der malischen Zivilgesellschaft beantwortet werden.
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Hier der Text der Erklärung, die von den AEI-Aktivist_innen an die deutsche Botschaft, an die malische Presse und die malischen Behörden übergeben wurde und in den kommenden Tagen auch an die zuständigen Behörden in Deutschland geschickt wird:
Nein zur Kollaboration malischer und deutscher Behörden für Abschiebungen nach Mali! Nein zu den La Valetta – Abkommen!
Erklärung des Netzwerks Afrique-Europe Interact anlässlich der Vorladung malischer Migrant_innen und Geflüchteter zu „Anhörungen zur Identitätsfeststellung“ und der Ausstellung von Reisedokumenten für Abschiebungen
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten hiermit unserer großen Beunruhigung und Empörung anlässlich dessen Ausdruck vereihen, was malischen Migrant_innen und Geflüchteten in Deutschland aktuell zugemutet wird: Der deutsche Staat möchte Menschen nach Mali abschieben und bemüht sich dafür um die Kollaboration malischer Behörden. Vor diesem Hintergrund wurden Malier_innen, die in verschiedenen deutschen Bundesländern leben, für die Tage zwischen 6. und 9. September 2016 zu einer „Anhörung zur Identitätsfeststellung“ nach Halle/Sachsen-Anhalt vorgeladen. Nach uns vorliegenden Informationen sollte dieses Verfahren von einem malischen „Identitätsfeststellungskomitee“ durchgeführt werden, das direkt aus Bamako anreisen sollte, um durch mehrere EU-Staaten zu touren, u.a. durch Spanien, Belgien und Deutschland. Das Ziel dieser Operation: die Nationalität und Identität der betroffenen Personen bestätigen, um ihnen Reisedokumente (laisser-passer) für die folgende Abschiebung nach Mali auszustellen. Zu unserer Erleichterung haben wir erfahren, dass für dieses Mal die Vorladung malischer Personen von den zuständigen Behörden abgesagt, bzw. verschoben, wurde. Nichtsdestotrotz verfolgen sie weiterhin das Ziel, Menschen aus Deutschland nach Mali abzuschieben, und wir befürchten, dass bald eine erneute Vorladung zu einer „Anhörung zur Identitätsfeststellung“ folgen wird.
Wir, als Netzwerk, das für die Rechte von Migrant_innen und für das Recht aller Menschen, sich auf der Erde frei zu bewegen, eintritt, verurteilen aufs Schärfste diese Art der Kollaboration zum Zweck der Abschiebung. Wir möchten Sie an dieser Stelle erinnern, dass die Behörden Malis dazu verpflichtet sind, im Interesse ihrer Bürger_innen zu arbeiten. Die Identitätsfeststellungsverfahren laufen jedoch dieser Verpflichtung zuwider: Ein „Identitätsfeststellungskomitee“, das vom malischen Staat geschickt wird, um bei der Abschiebung seiner eigenen Bürger_innen mitzuhelfen! Daher fordern wir, dass diese „Anhörungen zur Identitätsfeststellung“, ob in Halle oder anderen Städten, umgehend und dauerhaft gestoppt werden, und dass die zuständigen malischen Behörden das „Identitätsfeststellungskomitee“ auflösen.
Angesichts der aktuellen Situation in Mali ist es durch nichts zu rechtfertigen, Menschen per Zwang dorthin zurückzuschicken: Seit dem 2012 begonnenen Krieg im Norden des Landes befindet sich Mali in einer multiplen Krisensituation, die bis heute im ganzen Land andauert. Wie kann Deutschland, das selbst an seine Bürger_innen Reisewarnungen für Mali ausgibt, Menschen in dieses Land abschieben, wo die Bevölkerung in Unsicherheit lebt? An der Krise in Mali hat die Politik der europäischen Mächte bedeutenden Anteil; Deutschland, als mächtige Kraft innerhalb der EU, trägt dafür eine Mitverantwortung. Die mindeste Konsequenz wäre, das Recht der Malier_innen zu respektieren, sich hier niederzulassen, um in Frieden zu leben. Darüber hinaus leben viele Malier_innen heute in einer völlig prekären Situation, verursacht durch Landraub und generell durch ein völlig ungerechtes Wirtschaftssystem, indem die Migration die einzige Aussicht auf ein besseres Leben bleibt. Es sollte auch zur Kenntnis genommen werden, dass zirkuläre Migration gemäß dem Prinzip „weggehen und wiederkommen“ seit Generationen ein wichtiger Bestandteil der malischen Lebensrealität ist. Wenn Deutschland und andere Staaten der EU nun danach streben, in Kollaboration mit malischen Behörden Menschen nach Mali abzuschieben, stürzen sie damit nicht nur die betroffenen Personen in Not und Unsicherheit, sondern zerstören darüber hinaus die wirtschaftliche Existenzgrundlage vieler Familien, die von ihren Anghehörigen in der Migration unterstützt werden.
Offensichtlich sind die aktuellen Versuche, vermehrt Menschen nach Mali abzuschieben, eine direkte Folge des La Valetta – Gipfels, der im November 2015 auf Malta zwischen Vertreter_innen der EU-Mitgliedsstaaten und der afrikanischen Staaten stattfand. In Folge dieses Gipfels reisten in den letzten Monaten verschiedene Vertreter_innen der EU und einzelner europäischer Staaten, u.a. Deutschlands, nach Mali und unterzeichneten Kooperationsabkommen mit der malischen Regierung. Ziel dieses „La Valetta – Prozesses“ ist es, auf dem afrikanischen Kontinent die Schließung der Grenzen und beschleunigte Abschiebung von Afrikaner_innen aus Europa durchzusetzen; als Druckmittel dienen wirtschaftliche Dominanz und sogenannte „Entwicklungshilfe“. Eine solche „Kooperation“ bringt keinerlei Nutzen für die Gesellschaften Malis und ganz Afrikas. Im Gegenteil: wenn die malischen Behörden akzeptieren, bei der Vorbereitung von Abschiebungen mitzuwirken, riskieren sie damit, die Notlage der Bevölkerung zu vergrößern und die Destabilisierung ihres Landes zu vertiefen, das sich bereits in einer Krise befindet.
Wir erinnern daran, dass in den vergangenen Jahren der malische Staat sich unter dem Druck von Protesten aus der Zivilgesellschaft geweigert hat, sog. Rückübernahmeabkommen mit Frankreich zu unterzeichnen.
In diesem Sinne fordern wir als Afrique-Europe Interact heute:
-Sofortiger Stopp aller „Anhörungen zur Identitätsfeststellung“, die der Vorbereitung von Abschiebungen dienen!
-Beendigung jeglicher bilateraler oder multilateraler Kollaboration, die dazu dient, Menschen abzuschieben!
-Absage sämtlicher Verträge und Abkommen mit einzelnen Staaten sowie mit der Westafrikanischen Staatengemeinschaft (ECOWAS / CEDEAO), die zur Schließung der Grenzen dienen!
-Rücknahme sämtlicher Kooperationsabkommen, die in Folge des la Valetta – Gipfels unterzeichnet wurden!
-Respekt vor den Menschenrechten und vor dem Recht auf Bewegungsfreiheit für die Bevölkerung in der Migration und auf der Flucht!
-Statt Abschiebungen und Verfolgung von Migration: Aufbau nachhaltiger Strukturen, die für die Jugend Malis und Afrikas eine wirkliche Bleibeperspektive schaffen!
-Schluss mit Landraub und Plünderung von Ressourcen! Frieden und Gerechtigkeit für die Bevölkerung Malis!