KOMMENTAR von No Lager Halle
zum Artikel „Immer weniger Flüchtlinge: Asylheime auf dem Abstellgleis“ von Stefan Schröter vom 25.08.2016 in der Mitteldeutschen Zeitung
Flur im Lager Marke
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Dieser Kommentar bezieht sich auf den oben genannten Artikel im Zuge der geplanten Schließung der „Asylheime“ in Marke und Friedersdorf. Vor allem fällt die Stellungnahme der stellvertretenden „Asylheim-Leiterin“ ins Auge. Ihr zufolge heißt es in dem Artikel: „Viele Heimbewohner möchten gar nicht in eine einzelne Wohnungen, sondern in der Gemeinschaft leben“.
Die Gruppe no lager Halle, welche als Teil des Antirassistischen Netzwerks Sachsen-Anhalts in langjährigem Kontakt zu Geflüchteten im Bundesland steht, hat die tatsächlich Betroffenen, die im Artikel nicht zur Sprache kommen, selber zu ihrer Situation und Sichtweise befragt. Die BewohnerInnen in der sogenannten „Gemeinschaftsunterkunft“ am Ortsausgang Marke sind schockiert über eine derartige Aussage.
Das Haus verfällt augenscheinlich. Küchen- und Sanitärräume sowie –gegenstände sind defekt und es wird sich nicht um deren Reparatur und Instandhaltung gekümmert. Nicht das marode Haus, sondern die Menschen stehen auf dem Abstellgleis.
Teilweise seit über zehn Jahren leben sie ohne soziale Anbindung in dem Lager in Marke. Ausgehzeiten werden streng kontrolliert und auch BesucherInnen haben stark eingeschränkten Zutritt. Unsere Erfahrung als Gruppe zeigt, dass es sich bei dem Sicherheitspersonal um aggressive, übermächtige Personen handelt, welche nicht mit anderen Menschen umgehen können. So werden willkürliche und stark voneinander abweichende Aussagen zu Besuchszeiten gemacht, die aushängende Hausordnung grob missachtet, Drohungen ausgesprochen und selbst vor Handgreiflichkeiten schreckt das Sicherheitspersonal nicht zurück, trotz des Versuches, friedlich mit ihnen zu kommunizieren.
Dabei sollte es das Recht einer jeden Person sein, BesucherInnen zu empfangen und so die Isolation in diesem Lager zu mildern. Uns fällt auf, wie die Gespräche zwischen Sicherheitspersonal und Geflüchteten von rassistischen Ressentiments durchzogen sind. Knappe Anweisungen, herrschaftliches Benehmen sowie Tätlichkeiten gegenüber de BewohnerInnen sind allgegenwärtig.So werden die Menschen einfach angefasst, rumkommandiert und ihnen wird die Tür zugesperrt, wenn es nach Ansicht des Personals sein muss. Das Sicherheitspersonal verschafft sich ohne Begründung Zugang in die Zimmer, in denen bis zu fünf Personen auf engstem Raum leben müssen. Der Bruchteil einer Privatsphäre wird auf diese Weise untergraben. Soll das ein „Betreuungskonzept“ sein?
Elektronische persönliche Artikel wurden ohne nähere oder mit fragwürdiger Erklärung einkassiert. „Zugang zu dem größeren Raum haben wir auch nur, wenn wir am Eingang nach dem Schlüssel bitten“, sagt eine geflüchtete Person. Uns ist es unerklärlich, wie jemand hier von „Gemeinschaft“ sprechen kann, wie es die „Asylheim-Leiterin“ im Artikel tut. Menschen werden wahllos zusammengepfercht, teilen sich kleinste Räume und ein unhygienisches WC. Kinder und Frauen haben nachts Angst, durch die verlassenen Gänge die allgemein zugänglichen Räume aufzusuchen. Automatisches Licht in den kalten Fluren erlischt binnen weniger Minuten. Der als „Gemeinschaftsraum“ deklarierte Raum ist immer abgeschlossen und nur unter erschwerten Bedingungen zugänglich. Menschen verzweifeln angesichts der Isolation und asylrechtlichen Mauer, geben auf und treten selbst nach über 10 Jahren die Rückreise in das Herkunftsland an mit freundlicher Unterstützung der zermürbenden Ausländerbehörde.
Die Geflüchteten fühlen sich wie Tiere. Eine geflüchtete Person sagt: „Wir können hier nichts machen. Wir sind gezwungen zu schlafen, zu essen und dann wieder zu schlafen“. Uns als Gruppe stellt sich die Frage „Wie kann hier von friedlichem Zusammenleben die Rede sein, als läge das in der Konzeption des Lagers begründet?“ Die Menschen werden auf ihre Grundbedürfnisse reduziert und in dem Lager komplett isoliert. Kenntnisse der deutschen Sprache können nicht erlangt werden, persönliche Kontakte nicht gepflegt und alltägliche, uns als selbstverständlich erscheinende Dinge, können nicht erledigt werden. So gibt es in Marke kaum ÄrztInnen, keine Supermärkte und keine sozialen Zentren, wie Cafés oder Büchereien. Vergebliche und teure Fahrten werden in andere Orte wie Raguhn, Bitterfeld oder Jeßnitz unternommen, um dann mangels Internetzugang im Lager vor geschlossenen Praxis- oder Geschäftstüren zu stehen. Wasserflaschen, andere notwendige Artikel und Krankenhausbesuche müssen in Bitterfeld oder Dessau besorgt und getätigt werden, es gibt keinen Bus und der Zug fährt einmal stündlich.
Die Lokalbevölkerung scheint sich nicht um die Geflüchteten zu scheren, von einer „Willkommens-“ oder Nachbarschaftskultur kann nicht die Rede sein. „Wir fühlen uns wie in einem Gefängnis“, sagt eine geflüchtete Person, „niemand fragt uns einmal persönlich. Wenn hier MedienvertreterInnen oder ähnliche Personen kommen, dann unterhalten sie sich bei einem Kaffee lediglich mit der Chefin oder dem Sicherheitspersonal am Eingangsbereich.“
Im Zuge der Schließung des Lagers wurden einige Menschen schon in andere Wohnungen oder eine Unterkunft in Köthen transportiert. „Wir werden nicht informiert und einfach irgendwo anders hingebracht. Weder werden wir über den Zeitpunkt unterrichtet noch haben wir ein Mitbestimmungsrecht“, erwidert eine andere geflüchtete Person vor dem Lager. „Keine unnötige Unruhe lostreten, wenn man die Geflüchteten lediglich informiert, wo sie nach so vielen Jahren hin transportiert werden sollen?“, empört sich ein Mitglied aus der Gruppe.
„Das zeigt doch nur, dass die Geflüchteten hier wie Objekte behandelt werden, fertig zum Abtransport.“
Dass in dem Artikel die angebliche Existenzbedrohung der LagerbetreiberInnen hervorgehoben wird, ist aus unserer Sicht skandalös. Die „Zukunft der Unterkunft in Marke“ ist dergestalt „gefährdet“, dass sie auch noch als „dezentrale Unterbringung“ umdeklariert und Wohnungen bereitgestellt werden könnten. So erfolgte es in Vockerode (Landkreis Wittenberg), einem Ort ohne Integrationschancen, wo die Menschen Stunden benötigen, um Behörden in Wittenberg aufzusuchen, FreundInnen zu besuchen oder irgendetwas unternehmen zu können. Dass das bei so einem Lager überhaupt in Erwägung gezogen wird, zeigt das Unverständnis der Verantwortlichen über die Situation teils massiv traumatisierter Menschen, welche selbstverständlich Kontakt zu anderen benötigen. Natürlich wollen die GeschäftsleiterInnen „gerne wieder etwas hier tun“, immerhin ist die Betreibung eines Lagers bzw. einer dezentralen Unterbringung (im Artikel fast unverschämt als „Wohnanlage“ bezeichnet) ein lukratives Geschäft. Dass dies auf Kosten des Lebens der Betroffenen passieren soll, müsste das Land mit allen Mitteln abwenden.
Die Würde der Menschen steht auf dem Spiel. Integration als Anbindung an menschlichen Kontakt ist keine objektive Pflicht, welche durch Behörden und GesetzgeberInnen definiert und auferlegt werden kann, sondern ein Bedürfnis jeder einzelnen Person. Die Lager in Marke und Friedersdorf, seien sie zentral oder dezentral konzipiert, verkörpern Isolation und sind nur als Versuch zu werten, Menschen zu entmutigen und gesellschaftlich auszugrenzen.
„25 Jahre Asylunterkunft“, wie die Geschäftsführerin in Friedersdorf schwärmt, das sind 25 Jahre Ausgrenzung, Isolation und Fremdbestimmung – aber bestimmt nichts, auf das man stolz sein kann!