Erfolgreiche Klage für Privatsphäre Geflüchteter: VG Berlin erklärt BAMF-Handydatenauswertungen für rechtswidrig

Pressemitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) 

Berlin, 2. Juni 2021 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) hat vor dem Verwaltungsgericht Berlin einen bedeutenden Erfolg für die Privatsphäre geflüchteter Menschen und gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) errungen. „Das Verwaltungsgericht bestätigt mit seiner Entscheidung, was wir seit Jahren sagen: Das BAMF verletzt mit seinen Handydatenauswertungen Grundrechte“, sagt Lea Beckmann, Juristin bei der GFF und Verfahrenskoordinatorin.

Das BAMF liest Smartphones geflüchteter Menschen üblicherweise zu Beginn des Asylverfahrens und auf Vorrat aus, ohne mildere Mittel zu prüfen. Das Verwaltungsgericht Berlin gab nun einer GFF-Klage dagegen statt und folgte der Einschätzung der GFF und des Rechtsanwalts Dr. Matthias Lehnert, dass die Auswertung des Handys der 44-jährigen Klägerin aus Afghanistan rechtswidrig war. Nach Ansicht des Gerichts sind bereits die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage nicht erfüllt. „Die Entscheidung stellt die gesamte Praxis der Handydatenauswertungen des BAMF in Frage“, sagt Beckmann.

„Auf meinem Handy sind private Nachrichten mit meiner Familie. Ich hatte keine andere Wahl als der Auswertung zuzustimmen und wusste gar nicht, was mit meinen Daten genau passiert“, erklärte die Klägerin den Richter*innen in der gestrigen mündlichen Verhandlung. Seit 2017 darf das BAMF Smartphones auswerten – auch ohne konkreten Verdacht gegen die betroffene Person (§ 15a Asylgesetz, § 48 Abs. 3a Aufenthaltsgesetz). Sobald ein asylsuchender Mensch weder Pass noch Passersatzdokument vorweisen kann, ist das BAMF dazu berechtigt, sein Smartphone auszuwerten, um seine Angaben über seine Identität und Herkunft zu plausibilisieren. Analysiert werden Kontakte, ein- und ausgehende Anrufe sowie Nachrichten, Browserverläufe, Geodaten aus Fotos, verwendete Emailadressen und Benutzernamen auf Plattformen wie Facebook, booking.com oder Tinder.

Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass das Auslesen der Datenträger zum Zeitpunkt der Antragsstellung im Asylverfahren rechtswidrig ist, weil es zur Feststellung der Identität und Herkunft nicht erforderlich ist. Das stellt nun rechtlich die gesamte Praxis des BAMF in Frage. Auf die Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage – von der die GFF ausgeht – kam es für diese Entscheidung nicht an, und diese konnte das Gericht deshalb auch noch nicht überprüfen. Weil diese BAMF-Praxis die Grundrechte tausender Geflüchteter betrifft und die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, hat das Gericht mit Einverständnis des BAMF und der GFF die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. „Sollte das BAMF nun in Revision gehen, dann kann das höchste deutsche Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der aktuellen BAMF-Handydatenauswertungen entscheiden. Das wäre ein wichtiger Schritt für den Datenschutz von Geflüchteten,“ kommentiert Rechtsanwalt Lehnert.

Bereits in einer im Dezember 2019 veröffentlichten Studie zeigte die GFF, dass diese Datenträgerauswertung nicht nur einen in Deutschland beispiellosen Eingriff in die digitale Privatsphäre bedeutet, sondern auch kaum verwertbare Ergebnisse generiert. Das BAMF verletzt damit fortlaufend die Persönlichkeitsrechte tausender Geflüchteter.

Um dieser verfassungswidrigen Praxis entgegenzuwirken, hat die GFF im Jahr 2020 mit drei verschiedenen Kläger*innen und den Rechtsanwälten Dr. Matthias Lehnert und Roland Meister in Berlin, Hannover und Stuttgart Klage vor den Verwaltungsgerichten eingereicht. Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in Hannover und Stuttgart stehen weiter aus. Neben den gerichtlichen Verfahren hat die GFF im März dieses Jahres zudem Beschwerde beim Bundesdatenschutzbeauftragten eingereicht, um die intransparente Vorgehensweise des BAMF auch datenschutzrechtlich prüfen zu lassen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte ist als Aufsichtsbehörde befugt, die Einhaltung des Datenschutzrechts zu kontrollieren und kann auf eine Aussetzung oder Einschränkung der BAMF-Handydatenauswertungen hinwirken.

„Wir werden nun abwarten, ob das BAMF gegen diese Entscheidung in Revision geht – und in diesen und unseren anderen Verfahren für die Rechte Geflüchteter kämpfen“, sagt Beckmann.

Weitere Informationen zu den Verfahren finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/refugee-daten

Die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“ finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/studie-handydatenauswertung

Für weitere Informationen wenden Sie sich an:
Daniela Turß, presse@freiheitsrechte.org,
Tel. 030/549 08 10 55 oder 0175/610 2896

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) ist eine spendenfinanzierte Organisation, die Grund- und Menschenrechte mit juristischen Mitteln verteidigt. Der Verein fördert Demokratie und Zivilgesellschaft, schützt vor unverhältnismäßiger Überwachung sowie digitaler Durchleuchtung und setzt sich für gleiche Rechte und die soziale Teilhabe aller Menschen ein. Dazu führt die GFF strategische Gerichtsverfahren, geht mit Verfassungsbeschwerden gegen grundrechtswidrige Gesetze vor und bringt sich mit ihrer juristischen Expertise in gesellschaftliche Debatten ein. Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Berlin wurde 2015 gegründet und finanziert sich vor allem durch Einzelspenden und die Beiträge seiner Fördermitglieder.