Redebeitrag Gedenken an Farid Boukhit von Paulino M.

Anlass der Rede: Gedenken an Farid Boukhit,
Opfer Rassistischer Gewalt am Tag der Himmelfahrtskrawalle 1994 in Magdeburg
Von Paulino M.

Gedenken heißt leben!
Lieber Farid,
Du bist viel zu früh von uns entrissen worden.
Du hast den Tod nicht verdient.
Am 12. Mai warst Du in Magdeburg unterwegs.
Am 12. Mai warst Du mit Kollegen in der Stadt unterwegs.
Am 12. Mai warst Du in der Stadt unterwegs gewesen wie wahrscheinlich viele Monate und Tage davor.
Am 12. Mai wolltest Du die Atmosphäre der Stadt miterleben.
Die Stadt, die dich aufgenommen und wahrscheinlich auch dich willkommen geheißen hat.
Aber Du warst nicht in irgendeiner Stadt.
Du warst in der Stadt, wo bestimmte Menschen immer Gefahr liefen/laufen Gewalt zu erleben, bespuckt, bepöbelt zu werden oder ihre Anwesenheit mit dem Leben zu bezahlen wie in deinem Fall.
Alle die dort lebten/leben und als „Ausländer“ identifiziert wurden/werden, selbst dann, wenn sie in Deutschland gebürtig sind, liefen/laufen Gefahr angegriffen zu werden.
Du warst nicht allein in der Stadt.
Es waren unzählige Menschen da.
Keiner half Dir. Keiner hörte oder wollte dein Schreien hören.
Einige waren Hilflos da.
Aber die Tatenlosigkeit ist nicht zu entschuldigen. Es hätte nicht passieren müssen.
Kurzum: Eine ganze Stadt hat versagt.
Deine Hilferufe wurden von „Ausländer raus“-Rufen von Rassist*innen, Neonazis, Unterstützer*innen und Duldenden von Rassismus und Rassist*innen übertönt.
Deine Hilferufe wollten die zahlreichen Anwesenden in der Stadt nicht hören.
Man hat stillschweigend hingenommen, dass Du an diesem Tag von Rassist*innen zusammengeschlagen wurdest.
Man hat hingenommen, dass Rassist*innen ihre Gewaltfantasien an dir ausleben und verwirklichen dürfen.
Man hat dein Leid hingenommen.
Man hat deinen Tod hingenommen und später sogar bagatellisiert.
Es war offiziell von „Randalierern“ die Rede.

Wir aber wissen ganz genau:
Es waren Neonazis die Hetzjagd auf BIPoC gemacht haben.
Es waren Rassist*innen.
Es waren Menschenhasser*innen.
Es wurden vorwiegend Menschen mit afrikanischen Wurzel gejagt.
Die Rassist*innen und Neonazis wollten Menschen töten.
Sie hassen Menschen aus ideologischen Motiven.
Sie hassen bestimmte Menschen.

Heute sagen wir: Schluss damit!
Wir wollen kein weiteres Opfer von Rassismus beklagen.
Du warst aus Algerien gekommen um Sicherheit in Magdeburg zu finden.
Aber Rassist*innen und ihre Unterstützer*innen hatten Probleme mit deiner Anwesenheit.
Rassist*innen und ihrer Unterstützer*innen hatten/haben immer Probleme, Menschen zu akzeptieren, die sie als „Ausländer“ definierten/identifizieren.
Rassist*innen haben immer Probleme Menschen, die nicht zu ihrem Weltbild passen, wie im Fall von BIPoC, in Ruhe leben zu lassen.
Ich war auch an jenem Tag dabei als Menschen von Rassist*innen gehetzt wurden. Ich wurde bespuckt und beböpelt.
Es waren Neonazis und nicht irgendwelche Randalierer*innen.
Meine Besucher und ich wurden auf dem Weg zum Hauptbahnhof und zurück beleidigt und angegriffen. Wir wollten nur Salat am Hauptbahnhof kaufen. Keiner warnte uns über die drohende Gefahr.
Ich komme aus Mosambik und habe in der Nähe von der Zollstrasse gewohnt, genauer in der Badestrasse. Ich bin also Zeitzeuge von den Geschehnissen zwischen Zollstrasse, Zentrum und Hauptbahnhof gewesen.
Umso trauriger aber auch wütender waren ich und viele Betroffene, als wir erfuhren, dass an besagtem Tag Du von den Nazis so schwer verletzt wurdest, dass du später deinen Verletzungen erlagst.

Keine Frage,
Kein Zweifel:
Du bist Opfer rassistischer Gewalt.
Du bist Opfer von Tatenlosigkeit vieler Menschen, die sich nicht gegen Rassismus gestellt haben.
Du bist Opfer kolonialer Kontinuität in unserer Gesellschaft.
Du bist Opfer von demokratiefeindlichen Menschen.
Aber das traurigste ist, dass es viele Menschen gab, die dich hätten retten können.
Aber sie taten es nichts.

Wir kämpfen aktiv gegen Rassismus und Ausgrenzung.
Wir zeigen Gesichter und erheben unsere Stimmen.
Die Organisator*innen dieses Gedenktags halten dich in Erinnerung.
Sie kämpfen für eine gerechtere Welt.
Sie kämpfen für Gleichberechtigung.
Sie kämpfen gegen jede Art von Unmenschlichkeit.
Sie sind nicht allein gekommen.
Sie sind mit vielen anderen Menschen hierhergekommen. Seit Jahren erinnern wir uns an Dich.
Wir werden immer mehr, die sich gegen Rassismus erheben.
Deine Geschichte ist nun unsere gemeinsame Geschichte.
Wir werden sie nicht untergehen lassen.
Seit vielen Jahren wird deine/unsere Geschichte weitererzählt.
Einige, die hier den Jahrestag begehen, waren damals noch sehr jung.
Einige waren nicht mal geboren. Aber sie sind auch hier um an Dich zu erinnern.
Denn für uns gilt:
Kein Platz für Rassist*innen!
Keine Plattform für Neonazis!
Kein Platz für Verfassungsfeind*innen!
Kein Platz für Unterstützer*innen rechter Gewalt!
Kein Platz für Feind*innen der Vielfalt!

Gedenken heißt leben.
Wir sind da und werden auch bleiben.
Wir werden die Geschichte am Leben halten und erhalten.
Wir zeigen Gesichter und erheben unsere Stimme und sagen:
Kein Vergeben – Kein Vergessen!