Auf dem rechten Auge blind? Auch in Halle!
Solidarität mit den Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt
Eine Stellungnahme von no lager halle / Juni 2016
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Racial Profiling Kontrolle am Riebeckplatz, Halle, Frühjahr 2016
Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen des Angriffes in der Nacht zum 04.06.2016, welche nicht nur von Nazis attackiert wurden, sondern sich ebenfalls einer desinteressierten Polizei gegenüber sahen, wie der Pressemitteilung der Mobilen Opferberatung für Opfer rechter Gewalt zu entnehmen ist. [1]
Auch für Halle und Umgebung ist in den letzten Jahren ein Anstieg von rechter und rassistischer Gewalt zu verzeichnen; auch in Halle versuchen Neonazis durch Streifzüge in einzelnen Stadtgebieten, Menschen einzu-schüchtern, anzugreifen und sie zu vertreiben. Schon seit 2014 fiel dies besonders im südlichen Stadtteil Silberhöhe auf, wo eine selbsternannte „Brigade“ und weitere Unbekannte über Facebook-Posts zu Hetzjagden aufriefen und tatsächlich Romafamilien mit dem Tode bedrohten, ihre Autos anzündeten und sie aus dem Viertel vertrieben. Darüber hinaus veranstaltete die „Brigade“ einen Fackelmarsch und beteiligte sich an anderen rechten Aktionen. Erschreckend ist auch die Zustimmung, welche die Nazis über Kommentare und öffentliche Aussagen insbesondere im Internet erfahren. Zugleich haben sich in Halle die sogenannten Montagsdemos etabliert, die mittlerweile von einer rechten „Querfront“ getragen und organisiert werden, an der u.a. ein ehemaliger Kader des verbotenen neonazistischen Netzwerks „Blood & Honour“ beteiligt ist. Auch die allmontaglichen Demos haben mit ihrer öffentlichen Hetze dazu bei-getragen, dass sich in Halle das gesellschaftliche Klima weiter verändert.[2]
Eine umfassende kritische Auseinandersetzung und Alarmierung seitens der Stadt gab es nicht. Auch wurde der Umzug vieler Romafamilien in andere Stadtgebiete als simpler Wohnortwechsel verbucht. So entsteht immer mehr eine Atmosphäre, in der Hetze, Rassismus und Gewalt gegen Menschen, die nicht in neonazistische, nationalistische Weltbilder passen, scheinbar zur Normalität werden.
Im Kontext des gewalttätigen Angriffs auf der Ziegelwiese kommt uns beides – die Übergriffe von Rechten sowie ein sehr fragwürdiges Vorgehen der Polizei bekannt vor. Als antirassistische Gruppe, welche im (ständigen) Kontakt mit Menschen ist, die tagtäglich von Diskriminierung betroffen sind, erhalten wir permanent Berichte von sowohl rassistischen Beschimpfungen und Attacken als auch von Kontrollen.
Was die Vorkommnisse auf der Ziegelwiese sehr deutlich zeigen, ist, wie stark die Hallenser Polizei anscheinend Vorurteile von Neonazis teilt und die Gewalt von diesen verharmlost. FreundInnen berichten uns ständig von rassistischen Beleidigungen und anderen Angriffen, welche ungeahndet bleiben. Gleichzeitig sind sie rassistischen Polizeikontrollen ausgesetzt.
Diese Polizeikontrollen werden insbesondere in dem sog. „Gefahrengebiet“ zwischen Riebeckplatz, Stadtpark und Leipziger Turm durchgeführt. Tagtäglich werden dort überwiegend schwarze und vermeintliche fremde Menschen kontrolliert und schikaniert, weil ihnen aufgrund ihrer Hautfarbe und Aussehen Kriminalität und Drogenhandel zuschrieben werden. Dass die als „Racial Profiling“ bekannte Praxis auch zum Repertoire der Hallenser Polizei gehört, zeigen die Fälle von rassistischen Kontrollen, die die Landtagsabgenordnete Henriette Quade ermittelt und öffentlich kritisiert hat. In einigen Fällen mussten sich Menschen auf offener Straße bis auf die Unterhose ausziehen. [3]
Das alles spielt sich vor den Augen der Hallenser PassantInnen ab, welche teils aus Unwissen, aber auch aus Unwillen nicht dazwischentreten.
Verlangen die Betroffenen dann Aufklärung von den BeamtInnen, wird ihnen oftmals die Vorlage des Polizeidienstausweises verweigert, werden sie festgenommen oder wegen Widerstandes gegen VollstreckungsbeamtInnen verfolgt. Dies endete in einem Fall damit, dass einer Person ein Strafverfahren droht, nachdem sie von zehn Beamten festgehalten und mehrmals getreten wurde. Die Forderung nach Erklärung und Übersetzung einer „polizeilichen Maßnahme“ darf nicht als Widerstand gegen VollstreckungsbeamtInnen (fehl)gewertet werden !
VertreterInnen aus Polizei und Politik [4] bestreiten zum Einen, dass es Racial Profiling überhaupt bei der Hallenser Polizei gibt. Und zum Anderen ist nach Aussage einer Beamtin Racial Profiling illegal. Aber wie sind dann die vermehrten Kontrollen von Menschen, die optisch nicht der „deutschen Mehrheitsgesellschaft“ entsprechen, zu verstehen?
Und wie passt das alles damit zusammen, dass laut Aussagen der Stadt Halle die Kriminalität mit dem Zuzug neuer migrantischer BürgerInnen nicht gestiegen ist? [5]
Als Grundlage für das Handeln der Polizei wird eine andere „Statistik“, herangezogen, welche auf den vorherigen Kontrollen genau dieser Personengruppen basiert. Ein fataler Zirkelschluss, der polizeilichem Handeln eine Rechtsgrundlage konstruieren soll. Die polizeiliche Aussage, Racial Profiling gäbe es nicht, denn das sei ja illegal, ist eine Verhöhnung der Betroffenen. Die Aufforderung zum Ausziehen während einer Kontrolle wurde seitens der halleschen Polizei eindeutig als illegal eingestuft. Sollen diese Aufforderungen dann nach der polizeilichen Logik doch nicht existiert haben?
Mit dem beschriebenen Verhalten spielt die Polizei rassistischen Vorurteilen in die Hände, werden Angriffe legitimiert und zum Teil schwere Straftaten von Rechten banalisiert. Während jeden Tag Geflüchtete und Gemeinschaftsunterkünfte als auch Alternative und linke Projekte bedroht und attackiert werden, liegt der Fokus der sogenannten „Gefahrenabwehr“ auf als kriminell diffamierte Personen. Diese Tatsachenumkehr ist nicht hinnehmbar.
Es kann auch nicht sein, dass Opfer und Täter gleichgestellt werden und wie in den Medien von einer Gewaltspirale von Rechts wie Links gesprochen wird angesichts der reellen Geschehnisse.
* Wir fordern den Stopp rassistischer Stigmatisierung von Personengruppen sowie eine schnelle und professionelle Aufklärung aller rassistischen und faschistischen Angriffe. Rassistische und diskriminierende Attacken müssen als solche bezeichnet werden; auch islamophobe Angriffe müssen endlich ebenfalls als solche festgestellt und statistisch erfasst werden
* Rassistische Polizeikontrollen sowie struktureller Rassismus in den Behörden müssen endlich benannt und erfasst werden. Es müssen daraus die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden, wie es zahlreiche NGOs bereits seit Jahren fordern. [6]
* Die Zivilgesellschaft muss dringend aktiv(er) werden.
Wir rufen dazu auf, nicht wegzuschauen, wenn Unrecht auf der Straße passiert, sich an Demonstrationen gegen Rechts zu beteiligen, sich lokalen antirassistischen/ antifaschistischen Gruppen anzuschließen. Das Bündnis „Halle gegen Rechts“ z.B. bietet Einzelpersonen und Organisationen die Möglichkeit, sich vielfältig gegen rechte Strukturen einzubringen und Stellung zu beziehen. Eine Vielzahl von Initiativen bietet die Möglichkeit, Geflüchtete zu unterstützen oder sich aktiv für die Rechte von Geflüchteten stark zu machen.
* Nach dem sogenannten Sommer der Migration und der Willkommens-initiativen verzeichnen wir ein Abflauen der Bereitschaft, sich für Geflüchtete einzusetzen. Die sinkende Anzahl ankommender Geflüchteter in Deutschland beruht aber nicht auf einer rückläufigen Fluchtbewegung, sondern auf der Schließung des humanitären Korridors entlang der Balkanroute und auf der Abschottung der europäischen Außengrenzen.
Die sinkenden Zahlen sind auch Ausdruck eines verschärften Asylrechts und der damit verbundenen gestiegen Zahl von Abschiebungen. Gerade jetzt braucht es umso mehr Solidarität und Unterstützung der betroffenen Geflüchteten als auch eine kritische Zivilgesellschaft, die das Zusammenspiel von institutionellem und alltäglichem Rassismus erkennt und sich dem entgegenstellt.
* Wir rufen auf zur Solidarität mit den Betroffenen rechter sowie rassistischer Gewalt!
[1] http://www.mobile-opferberatung.de/b00001497.html
[2] http://www.halle-gegen-rechts.de/home/183-hgr-warnt-vor-querfront.html
[3] http://bit.ly/1Pwe0Jv
[4] http://bit.ly/1UAOSmp
[5] http://www.halle.de/Publications/6348/amtsblatt20_11112015.pdf
[6] http://bit.ly/2601NJL