Türkische Familie auf der Flucht vor Erdogan gestorben
„Wir haben die Lichter gesehen“
dtj-online Politik / 22. November 2017 13:51
Die Geschichte einer türkischen Familie, die vor politischer Verfolgung aus der Türkei fliehen wollte und dabei im ägäischen Meer ums Leben gekommen ist, hat auf internationaler Ebene eine Welle der Solidarität ausgelöst. Die Familie Maden ist somit die erste Familie, die auf politischer Flucht aus der Türkei verstorben ist. Nach Angaben eines türkischen Exil-Journalisten in Griechenland, handelt es sich bei den Verstorbenen um den Physiklehrer Hüseyin Maden (40), die Grundschullehrerin Nur Maden (36) und die Töchter Nadire (13) und Nur (10) sowie den Sohn Feridun (7).
Die Familie ist nach Angaben von Verwandten unmittelbar vor der griechischen Insel Lesbos gewesen, als sich das große Unglück ereignete und ihr Boot kenterte. Hüseyin Maden, der Familienvater, und die Ehefrau Nur Maden gehören zu den Zehntausenden Lehrern, die vom Staatsdienst entlassen worden sind. Anschließend wurde gegen Hüseyin Maden und seine Ehefrau Nur Maden ein Verfahren wegen der „Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation“ eingeleitet. Die Befürchtung, dass Mutter und Vater gleichzeitig verhaftet und die kleinen Kinder dann in irgendein Jugendheim gesteckt werden, hat die Familie zu dem schwierigen Schritt verleitet, aus dem Land zu flüchten.
Griechenland einziges demokratisches Land in der Nachbarschaft der Türkei
Immer mehr Familien, die dasselbe Schicksal wie die verunglückte Familie Maden erleiden, suchen notgedrungen den gefährlichen Weg nach Griechenland auf. Weshalb sie nach Griechenland fliehen ist leicht erklärt: Die Helenen sind, trotz wirtschaftlicher Probleme das einzige demokratische Land in unmittelbarer Nachbarschaft der Türkischen Republik. Und als vollwertiges Mitglied der EU sind die Flüchtigen zudem von einer willkürlichen Auslieferung verschont.
Schlepper profitieren von Diktatoren und Repressalien
Das hat auch Auswirkungen auf das Geschäft der Schlepper. Der Sektor boomt. Die Türkei ist nicht nur seit der Flüchtlingsbewegung aus Syrien und dem Irak eine Fundgrube für illegale Menschentransporter, sondern auch besonders seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr ein guter Marktplatz für Schmuggler. Dabei steigen die Summen auch in unermessliche Höhen. Familien verkaufen ihre Wohnungen und Häuser, um Schlepper zu bezahlen. Der Markt der Schlepper ist auch sehr dynamisch. Die Preise variieren je nach Kunde, nach Qualität der Dienstleistung und Personenzahl pro Fahrt. Menschen werden nach Herkunft und Beruf gefragt, ihr mögliches Vermögen abgeschätzt und entsprechend abgezockt. In der akuten Notlage werden die Menschen dazu genötigt horrende Summen aufzubringen.
Familie Maden zu arm für professionelle Flucht
Doch die Familie Maden hatte nicht genug Geld anzubieten, als die Schmuggler für eine fünfköpfige Familie forderten. Die beiden Lehrer Hüseyin und Nur Maden hatten im Notstand, wie viele andere auch, ihre Jobs per Dekret verloren. Zudem wurde das Vermögen der Familie durch den Staat eingefroren. Nach Angaben eines Freundes, den sie in der letzten Nacht in der Heimat besuchten, waren finanzielle Engpässe und die Angst jeden Augenblick verhaftet zu werden die Beweggründe zur Flucht. Mit dem letzten Bar-Geld von etwa 5 Tausend Türkische Lira und einer kleinen Geldanleihe von Bekannten, kaufte der Physiklehrer ein kleines Boot, um damit die Familie nach Griechenland zu retten. Weil sie sich die Schlepper nicht leisten konnten, beschloss Hüseyin Maden das Boot selbst zu steuern. Eine folgenschwere Entscheidung.
„Wir haben die Lichter gesehen“
Die Instruktionen zur Bedienung des Bootes haben nicht ausgereicht, das Schiff auch in einer komplizierten Situation zu manövrieren. Dabei waren hohe Wellen und ein unbändiges ägäisches Meer im Monat November eine ohnehin denkbar schlechte Jahreszeit. Das Boot ist schließlich wegen den hohen Wellen gekentert. Dabei war das letzte, was die in der Türkei verbliebenen Familienmitglieder von dem Lehrer und seiner Familie gehört hatten, eine hoffnungsvolle SMS. „Wir haben die Lichter gesehen, sind kurz vor der Insel“. Das letzte Lebenszeichen der fünf-köpfigen Familie. Danach kam kein Anruf mehr, keine weitere SMS. Die Familie hoffte mehrere Tage auf das mildere Übel, dass sie womöglich von der griechischen Küstenwache im Meer aufgefangen und verhaftet worden seien. Dass sie vielleicht gestorben sein könnten wollte keiner glauben.
Doch die erschütternde Nachricht kam, als die ersten griechischen Medien darüber berichteten, es seien die toten Körper von drei Kindern an die Küste der Insel Lesbos angespült worden. Das Online-Medium „Greek Reporter“ veröffentlichte einen Artikel mit einem Foto, auf dem ein toter Junge von einer Jacke zugedeckt zu sehen war. Die griechischen Behörden führten DNA Tests durch. Kurze Zeit darauf war klar; es ist die Familie Maden. Die Beerdigung geschah auf griechischem Boden. Aufgrund von Problemen mit dem Visum konnte an der Beerdigung auch keines der Familienmitglieder aus der Türkei teilnehmen. Eine Geschichte des Unglücks mit fatalen Folgen. Schon wieder traf es unschuldige Kinder und einfache Zivilisten.