Bernburg-Prozess Beobachtung Bericht II
Zweite Pressemitteilung zum Verfahren gegen neun Neonazis, die in Bernburg im September 2013 aus rassistischen Gründen einen Imbissbesitzer brutal angegriffen und schwer verletzt haben, 2.4.2014
Im Prozess gegen neun Nazis aus der Schönebecker Kameradschaftsszene steht am Freitag, dem 4. April, der elfte Prozesstag an, die Beweisaufnahme wird dann geschlossen. Im Laufe des Prozesses wurden diverse Zeuginnen verhört: die Geschädigten, PolizistInnen, Beamte des Staatsschutzes, „unabhängige“ ZeugInnen, ÄrztInnen und Sachverständige. Die angeklagten Neonazis machten am Tatabend im September Aussagen, auf die im Prozess zurückgegriffen wurde und bei denen zügig klar wurde, das sie sich selbst als Opfer darstellen wollten. Vor Gericht selber machten sie keine Aussagen. (Drei von ihnen liessen pyschologische Gutachten anfertigen.) Die erfundene Geschichte lautete: der am Ende schwer verletzte Mann sei zuvor mit einem 90 bis 100 cm langen Messer/ Machete/ Schwert auf die neunköpfige Gruppe zugerannt und hätte „in die Menge gehackt“. Ein Angeklagter soll dabei an der Hand verletzt worden sein. Die benannte Verletzung bestand aus einer kleinen Abschürfung. Zusätzlich sei erwähnt, das nirgends eine Waffe gefunden wurde. Die Angeklagten belasteten sich teilweise gegenseitig. Beyer und Steinbach sagten aus, das zwei Leute aus der Angreifergruppe entweder Flaschen warfen oder dem Betroffenen Tritte zufügten. Sie selbst hätten etwas abseits des Geschehens am Süßigkeitenautomaten gestanden. Aus ihrer Sicht hätten alle anderen Angeklagten in irgendeiner Weise auf den Geschädigten „eingewirkt“. Eine unbekannte Gruppe Nazis machte einen „Hausbesuch“ bei dem Angeklagten Beyer und forderte, dass er seine Aussage bezüglich der Tatbeteiligung von Smulla zurückziehen solle. Sichtlich eingeschüchtert erzählte er dies seiner Psychologin.
Im Laufe der Verhandlung kam Licht ins Dunkle bei den Unklarheiten über das weiße Klapphandy mit Hitlerbild. Dieses wurde von der Freundin des Schwerverletzten auf einer Bank am Tatort gefunden und Polizist Haupt übergeben. Nach mehrmaligem Nachfragen sagte er, er hätte das Handy doch irgendwann gesehen und weitergegeben, an wen könne er sich aber nicht erinnern. Dass er es einem der Angeklagten wiedergegeben hätte, schließe er – nach längerem Überlegen – aus. Im Endeffekt ist das Handy auf einer Liste im Polizeirevier aufgetaucht und konnte dem Angeklagten Matthias zugeordnet werden. Da ein Hitlerbild auf dem Display aus polizeilicher Sicht kein ausreichendes Indiz sei, gab man es ihm zurück.
Am sechsten Prozesstag wurde Normen Winter als „unabhängiger“ Zeuge geladen. Winter lernte nach eigenen Aussagen die Tätergruppe im Zug nach Bernburg kennen. Dort tauschte er mit Ruchhöft Handynummern. Nach der Ankunft am Bahnhof wartete er auf dem Gleis und befand sich demnach direkt gegenüber dem Tatort, Luftlinie ca. 7 Meter. Er sah, wie sich die Gruppe durch die Unterführung zu Gleis 1 bewegte und dort mit den Geschädigten am Eingang zur Bahnhofshalle zusammentraf. Seiner Meinung nach entwickelte sich daraus eine angespannte Situation, worauf der Geschädigte in die Bahnhofhalle ging und mit einem 50cm langen rot-braunen Schlagstock wieder herauskam. Ebenso deutlich meinte er erkannt zu haben, dass maximal zwei Tritte auf den später schwerverletzten Mann abgegeben wurden. „Ich würde meine Hand ins Feuer legen, dass der Mann mit einem Schlagstock auf die Gruppe losgegangen ist.“ Im Widerspruch zu alldem, hätte er aber kein einziges Wort der verbalen Auseinandersetzung verstanden und wer auf den Betroffenen „einwirkte“, wüsste er auch nicht mehr genau. Ebenso ratlos wirkte er bei allen Detailfragen, wo er Aussagen über die rassistische Tat der Gruppe hätte treffen müssen. Im Laufe der Verhandlung konnte ihm Kontakt zu einem Angeklagten nachgewiesen werden, was die Vermutung der Absprache zwischen dem „unabhängigen“ Zeugen Winter und den Angeklagten nährt. Winter sympathisierte sichtlich mit den Angeklagten, diese seien aus seiner Sicht die eigentlichen Opfer des Abends gewesen.
Die rassistische Gesinnung der Angeklagten kann spätestens jetzt nicht mehr geleugnet werden. Entweder bekannten sie sich direkt zur Rechten Szene oder sie machten es deutlich, indem sie geschichtsrevisionistische Trauermärsche in Magdeburg, Dresden und Dessau besuchten. Die Tätowierungen der Nazis sprechen ebenfalls für sich. Michel Matthias ist hier zu nennen, er schmückt sich auf Lebzeit mit der Nummer 18, welche symbolisch für „Adolf Hitler“ steht, und einem „Blood and Honour“ (Blut und Ehre) Tattoo, welches der Name eines weltweit agierenden, faschistischen Netzwerkes ist. Patrick Fillinger trägt auf der Brust das Symbol der freien Kameradschaften und des Nationalen Widerstandes: Hammer und Schwert gekreuzt, umrandet von einem Zahnrad. Maik Ruchhöft und Ronny Beyer ließen sich „White Power“ (Weiße Macht) tätowieren, welche eine der weltweit bekanntesten und am häufigsten verwendeten Losungen der Neonaziszene darstellt.
Angemerkt sei abschließend auch, dass einige Fragen der beisitzenden RichterInnen an die Geschädigten taktlos waren und darauf abzielten, die Betroffenen zu verunsichern und als unglaubwürdig darzustellen.
Nazis wegsperren ist das Eine, die eigenen Rassismen hinterfragen das Andere. Denn Rassismus ist kein Phänomen von Neonazis, sondern eine innere Einstellung alles, was einem selbst als fremd erscheint, abzuwerten.
Nächste Prozesstermine: 14.4., 25.4., 28.4.: vermutlich Urteilsverkündung