[Halle] Vortrag – Die Hydra der Grenze
Zwischen #trainofhope und Asylrechtsverschärfungen: Ausgewählte Widersprüche im Umgang mit Flucht und Migration
von no lager halle
Mittwoch, 25.11.2015 um 19 Uhr
Radio Corax, Unterberg 11
Seit Wochen ist die „Balkanroute“ als Weg der Flüchtenden nach Europa in allen Medien und in politischen Debatten hochpräsent. Was mit dem „March of Hope“ im September begann, ist mittlerweile zu einem von den Autoritäten organisierten Reiseweg geworden. Die Grenzen sind (trotz einzelner Abschottungsversuche) offen und EU-Länder bzw. Anrainerstaaten betätigen sich im Grunde als Schlepper brachten und bringen die Menschen, von der Polizei koordiniert, zu Hunderten und Tausenden an die nächste Grenze. Faktisch ist ein Korridor geschaffen.
In unserem Vortrag geht es um die Grenzen fernab des Zauns. Wenn die Grenzen – in Form einer Linie zwischen zwei Staatsgebieten – offen sind, wie reagiert das Migrationsregime?
Wir beobachten eine Verschiebung der Grenze – als Ausschlussmechanismus – sowohl nach außen, in Form von Abkommen mit Drittstaaten, Push-Back-Aktionen, „Schlepperbekämpfung“ im Mittelmeer etc., als auch nach innen, mit extremen Verschärfungen des Asylrechts und daraus folgender drastischer Prekarisierung, der geplanten Schaffung von Transitzonen/Einreisezentren, dem Vorstoß zur Verunmöglichmachung des Familiennachzugs, etc.
Kurzum: Das europäische Grenzregime ist im Begriff, sich zu verändern. Welche Maßnahmen werden ergriffen? Welche Tendenzen, aber auch Widersprüche lassen sich erkennen? Wie lässt sich dies aus kritischer Perspektive analysieren?
Der Vortrag rekapituliert den „langen Sommer der Migration“ und die damit verbundenen Ereignisse in Ungarn, besonders am Budapester Bahnhof, und an den süddeutschen Grenzen. Im Rückblick erscheinen einige der politischen Reaktionen auf die Migrierenden verstehbar, wie die Aussetzung Schengens, das plötzliche „Wir schaffen das“ der Kanzlerin und die #trainofhope-Initiative der Österreichischen Bundesbahn. Zusätzlich greift der Vortrag einige Aspekte der oben genannten Verlagerungen der Grenze auf, um das Scheitern des Migrationssystems aufzuzeigen. Des Weiteren stellt er die Versuche dar, durch alte wiederaufgenommene sowie neue Wege die Fiktion der (supra-)nationalen Souveränität über Migration zu erhalten.
Es gibt jedoch Akteure, welche die Tatsache, dass Menschen nach Europa flüchten, akzeptieren und
eine pragmatische und solidarische Auseinandersetzung anstreben: Die zahlreichen bürgerschaftlichen Initiativen und engagierten Einzelpersonen. Vor dem Hintergrund des dargestellten Scheiterns des repressiven Migrationsregimes befassen wir uns im Anschluss mit der rhetorischen Vereinnahmung dieser Akteure zugunsten einer Rede vom „vollen Boot“, in dessen Rahmen die Inszenierung des „Notstands“ und die bewusst in Kauf genommene humanitäre Katastrophe eine erhebliche Rolle spielen. In diesem Zusammenhang erscheinen die Helfenden als „unverzichtbar“.
Unverzichtbar jedoch für wen?
Die aufgezeigten Inszenierungen werden abschließend aufeinander bezogen: Unter dem Aspekt der funktionalen Logik des Grenzregimes erscheinen die verschiedenen politischen Reaktionen und Handlungen weniger widersprüchlich als gedacht.