Sachsen-Anhalt: Linkspartei und Grüne drohen mit Klage vor dem Landesverfassungsgericht gegen geplantes Polizeigesetz

Ginge es nach Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), hätten seine Ergänzungen für das »Gesetz für öffentliche Sicherheit und Ordnung« längst den Landtag passiert (vgl. jW vom 13. Juli und 3. Dezember). So einfach ist das aber nicht, denn das Papier, das seit Sommer im Parlament diskutiert wird, hat es in sich. So dürften danach Polizeibeamte »erhebliche Gefahrenlagen« vermehrt selbst einschätzen und Telefonate belauschen, Computer ausspionieren, Handys orten, Personen filmen, medizinische Zwangstests durchführen und sogar Funknetze abschalten – teils ohne richterliche Genehmigung.

Nach heftiger Kritik von Linken und Grünen will Stahlknecht den Entwurf in einigen Punkten zwar konkretisieren. An den Befugnissen für die Polizei soll aber nicht gerüttelt werden. Für die Opposition wäre das verfassungswidrig. »Wir prüfen derzeit eine Klage für den Fall, daß das Gesetz ohne weitreichende Änderungen von CDU und SPD abgenickt wird«, sagte die Linke-Abgeordnete Henriette Quade auf jW-Nachfrage.
So heißt es etwa im Paragraphen 33: »Die Polizei kann von jedem Dienstanbieter verlangen, Kommunikationsverbindungen zu unterbrechen oder zu verhindern.« Auch selbst soll sie für diese Zwecke »technische Mittel« einsetzen dürfen. Betroffen wären auch Notrufe. Voraussetzung ist, die Strafverfolger erkennen eine »gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit von Bund oder Land oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person«. Wann diese Gefahr besteht, soll die Polizei selbst einschätzen.
Einer richterlichen Bestätigung bedürfte es erst nach zweitägiger Netzblockade. »Völlig unverhältnismäßig« findet das die Opposition, auch wenn der Innenminister betont, daß nur »Extremfälle, wie Bombendrohungen oder Geiselnahmen, keineswegs aber Demonstrationen« gemeint seien. Quade ist sich da nicht so sicher. »Ich will mich nicht darauf verlassen, wo überall die Polizei solche Gefahren wittert«, sagte sie.
Weitreichende Kompetenzen soll die Polizei auch zum »Erheben von Telekommunikationsinhalten sowie Verbindungs- und standortdaten zur präventiven Gefahrenabwehr« erhalten. Nach Paragraph 17b könnte sie dann heimlich in ein »informationstechnisches System« eindringen, um beispielsweise verschlüsselte Internettelefonie abzuhören. An Rechnern dürften die Beamten zwar nur Veränderungen vornehmen, »die für die Datenerhebung unerläßlich sind«. Auch müßten sie hierfür – außer bei Gefahr im Verzug – einen Richter anrufen. Die Opposition warnt aber davor, daß »nach Installation eines Abhörtrojaners die Grenzen zu umfassenden Online-Durchsuchungen fließend sind«.
Massiv kritisieren Grüne und Linke weiterhin den Paragraphen 41. Die derzeitige Fassung würde den Polizeibeamten erlauben, Personen gegen deren Willen und ohne einen Richter anzurufen medizinisch untersuchen zu lassen. Die Behörde könnte so etwa Zwangstests auf HIV oder Hepatitis anordnen, auch wenn sie lediglich annimmt, daß der Betroffene infiziert ist und einen Beamten oder Sanitäter angesteckt haben könnte. Laut Opposition verletzt dies jedoch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Zudem konterkariere der Passus die ärztliche Schweigepflicht. Sachsen-Anhalts CDU-Fraktionsvorsitzender André Schröder will nicht an den Zwangs­tests rütteln, wie er am Mittwoch dem MDR sagte. Allerdings wolle man nun doch den Richtervorbehalt einfügen, kündigte er an.
Daneben sieht der Gesetzentwurf eine Reihe weiterer strittiger Neuerungen vor. So dürfte die Polizei künftig »suizidgefährdete oder hilflose Personen« mithilfe eines IMSI-Catchers orten oder Videos auch bei bloßen Verkehrskontrollen »zur Eigensicherung von Vollzugsbeamten« aufzeichnen. Vor allem Letzteres verletzt nach Ansicht der Opposition die Persönlichkeitsrechte. Ebenso kritisieren Linke und Grüne den Paragraphen 94a. Zur Abwehr »abstrakter Gefahren« dürfte danach »das zuständige Ministerium« Sperrzeiten für »Schankwirtschaften und Vergnügungsstätten« verhängen. Kommunen wären berechtigt, für »Teile ihres Bezirkes« Alkoholverbote auszusprechen.